Der Kindersammler
vor sich. Sie konnte jetzt unmöglich in Valle Coronata bleiben. Eilig stellte sie das Frühstücksgeschirr in die Spüle, stopfte ihr gesamtes Bargeld ins Portemonnaie, verschloss sämtliche Fenster und Türen sorgfältig, ging erneut durch alle Zimmer, um noch einmal alles zu kontrollieren, und verließ das Haus. Seit Kai weggefahren war, war noch nicht einmal eine Viertelstunde vergangen.
»Ach du lieber Gott«, sagte Eleonore. »Ich kann mich kaum noch an all die Dinge erinnern, ich vergesse doch so schnell...« Eleonore atmete schwer, die grauen Haare klebten ihr in der Stirn, aber ihre tiefen Grübchen verliehen ihrem Gesicht einen fröhlichen Ausdruck. »War wohl doch ein bisschen viel, die Unkrautjäterei in der Hitze, aber wenn ich so einen Anfall von Arbeitswut kriege, muss ich ihn unbedingt ausnutzen!« Sie lächelte und fuhr sich mit ihrem staubigen Jackenärmel durchs Gesicht. »Jetzt trinken wir beiden Hübschen erst mal ein kühles Zitronenwasser, und dann werde ich für dich scharf nachdenken.«
Zwei Minuten später kam sie mit zwei großen Gläsern eiskaltem Brunnenwasser wieder, in die sie den Saft einer halben Zitrone gespritzt hatte. »La Pecora und Valle Coronata ... Tja ... Wie hängt das zusammen? Gar nicht, glaube ich. Das eine hat mit dem andern nichts zu tun, außerdem ist ein riesiger Berg dazwischen.« Eleonore setzte sich, und Anne trank dankbar das kalte, erfrischende Zitronenwasser.
»Wann hast du La Pecora gekauft?«
»1996. Im Sommer. Pino und Samantha hatten über einen Makler inseriert, ich hab die Anzeige gelesen und mich dann sofort in das Haus verliebt. Wahrscheinlich ging's mir genauso wie dir, ich bin auch eine Frau von schnellen Entschlüssen.« Ihr Teint war jetzt krebsrot, aber sie wirkte insgesamt beneidenswert gesund.
»Kanntest du Valle Coronata?«
»Nein. Ich hab es erst kennen gelernt, als Enrico anfing, mir mein Haus hier umzubauen. So, dass ich einen Teil davon vermieten konnte. Enrico hat mich irgendwann mal in Valle Coronata zum Essen eingeladen.«
»Enrico ist also das einzige Verbindungsglied«, murmelte Anne. »Er hat Valle Coronata aus- und La Pecora umgebaut. Aber das hilft uns überhaupt nicht weiter.«
»Das denke ich auch.«
»Und du warst nicht zufrieden mit ihm? Das wundert mich, denn ich finde, das, was er macht, ist toll!«
»Es sieht teilweise gut aus, ja. Aber das ist für mich auch alles. Er ist ein Ästhet. Es kommt ihm nur auf den äußeren Schein, auf die Wirkung an, aber handwerklich ist er ein Dilettant. Das wirst du schon noch merken, wenn du länger in dem Haus wohnst. Wenn der Winter mit dem wochenlangen Regen kommt. Wenn es wie Hechtsuppe durch die Fenster zieht, weil sie nicht richtig schließen, wenn das Wasser zur Tür hereinläuft, wenn das warme Wasser versagt und dich die Heizung im Stich lässt, weil er nie bei einem Klempner zugeschaut und nur die billigsten Rohre gekauft hat. Er hat alles irgendwie und mehr schlecht als recht zusammengeschraubt, und die Klärgrube läuft über, weil er die Abflüsse nicht bergab, sondern bergauf verlegt hat. Irgendwann merkst du, dass die Drainage nichts taugt und das Dach nicht richtig isoliert ist, weil die Wände anfangen zu schimmeln. Und du wirst wütend, wenn du den Kamin nicht benutzen kannst, weil er dich einräuchert, denn für Enrico ist ein Kamin ein Steinsockel und ein Loch in der Decke, aber das reicht eben nicht... Ach, ich könnte noch stundenlang so weiterreden...«
»Du bist sauer auf ihn?«
»Natürlich bin ich sauer auf ihn. Er hat hier umgebaut wie ein Verrückter. Alles im Laufschritt. Alles husch, husch! Mühe gegeben hat er sich nicht, aber das habe ich damals nicht gemerkt. Jeden baulichen Fehler schmierte er mit Zement zu und setzte einen schönen Stein davor. Und all diesen Schrott verkaufte er mir dann als seine >Kunst. Ich war begeistert. Ich hab ihm alles geglaubt. Bis ich dann in dem Haus wohnte, eins nach dem andern kaputtging und ich endlich kapierte, was er im Grunde für ein Schaumschläger ist. Darum arbeitete er auch immer allein, er hatte nie einen Gehilfen. Ich bin sicher, er macht nur Learning by Doing, denn ich glaube, es gibt nichts, was er je richtig gelernt hat. Aber das wird er natürlich nie zugeben. Ich habe jedenfalls noch Heerscharen von Handwerkern durch dieses Haus geschickt, bis alles einigermaßen funktionierte.«
»Das war 1996?«
Eleonore nickte. »Vielleicht hat er sich auch so fürchterlich mit La Pecora beeilt, weil er noch im
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