Der König Von Korsika
Garrigue-Hänge mit ihren Rosmarin- und Ginstersträuchern lagen. Die Wellen brandeten gegen die Felsen, der Wind roch nach Salz.
Schwach glühten noch zwei Lagerfeuer, von den Pferden und Ochsen kam warmer Tiergeruch herüber, die erwachenden Soldaten räusperten sich, andere wälzten sich unruhig in letztem Schlaf. Die Kriegsflagge mit dem Mohrenkopf knatterte in den Böen. Weit im Süden lag Algajola. Theodor blickte auf das Heerlager, das Meer, die Hügel, die staubige Straße und den Hafen am Horizont und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, diese ganze Gegenwart sei eigentlich schon vergangen.
Er dachte an den Brief seines Neffen mit der Nachricht von Amélies Tod, die doch eigentlich auch sein Leben hätte anhalten müssen, statt dessen ging er mit seiner Mätresse ins Bett und auf Kampagne.
Er mußte an den Mann denken, der ihn von allen, die er je getroffen, am stärksten beeindruckt und dem er selbst so gar nicht genügt hatte: den russischen Zaren, dem er vor langen Jahren in Amsterdam gegenübergestanden hatte.
Heute begriff er, daß es unmöglich war, zugleich Entscheidungen zu fällen und Gefühle zu empfinden. Gefühle brauchten die Luft der Zeit und Kontemplation. Er, Theodor,
hatte heute noch nicht mit dem nachdenklichen Staunen über das Wunder seiner Geburt und Existenz abgeschlossen, hätte noch immer am liebsten über den merkwürdigen Wegen seiner Kindheit und Jugend gebrütet. Männer wie der Zar, und in kleinerem Maße heute auch er, hatten ganz einfach zuviel zu tun, um zugleich etwas empfinden zu können. Bevor das mit einer Handlung verbundene Gefühl zu seinem Recht kam, stand schon die nächste Entscheidung bevor. War man ein Handelnder, konnte man kein Lebender sein, dachte Theodor. Nicht so, wie ich das Leben begreife, das ist die Wahrheit und die Tragik.
Niemand bewunderte ihn außer Angelina. Woher soll es denn kommen? Weshalb setzt man sich denn jeden Morgen wieder zu etwas zusammen, wenn nicht jemand dasteht und sagt: Schön! Die Korsen erwarteten alle nur etwas von ihm und zweifelten, ob er fähig wäre, es ihnen zu verschaffen. Angelina war vielleicht nicht viel, aber sie bewunderte ihn, weil er der König war, und er brauchte dieses großäugige Erstaunen des Mädchens, wenn es morgens aufwachte und seine vor Aufregung feuchten Finger nur zugreifen mußten, um den Monarchen zum Leben zu erwecken.
Jenseits allen Träumens und Sinnens wußte er, daß die Insel noch vor dem Herbst von den Besatzern befreit sein mußte, bevor deren Appelle auf neuerliche Hilfe von außen fruchteten. Waren sie fort aus Korsika, würde niemand auf Erden ihnen mehr helfen, es zurückzuerobern.
Jetzt wurden die beiden Kanonen in Stellung gebracht und abgefeuert, und der beißende Geruch nach Pulver und heißem Schmierfett und die Rauchwolken verpesteten die morgendlich klare Luft. Theodor stieg im wehenden Berberkleid auf sein Pferd und zugleich die Treppen zur Pariser Oper empor, begleitet wie jetzt auf diesem Küstenstreifen von englischen Journalisten, einem deutschen Hofpoeten und einem italienischen Schlachtenmaler. Ein Cousin
seiner allerchristlichsten Majestät, der den lauschenden Hofdamen beiläufig von seinen Triumphen erzählte. Er hielt die Zügel des Schimmels, den der Lärm nervös machte, eng und nahm auch seine eigenen hochsteigenden Gedanken an die Kandarre. Wenn er hier nicht gewann, wenn es ihm nicht gelang, Korsika zu befreien, konnte er sich nirgendwo mehr sehen lassen und endete als geschlagener, verspotteter Bettler, dem jeder stinkende Bürger ungestraft die Verleumdungen entgegenschleudern durfte, die Genua seit geraumer Zeit über ihn in Umlauf brachte: der Hochstapler Neuhoff, der falsche Adelige, der König mit Spielschulden, der Mitgiftjäger, der Dieb Neuhoff, der Sodomist Neuhoff, der Syphilitiker Neuhoff. Rhythmische Chöre verächtlichen Hohns, Kaskaden des Spotts brachen über ihn herein, hallten in seinen Ohren, und er wand und krümmte sich im Straßenstaub wie ein Wurm. Einer, der falsch und zu hoch gespielt und die Nerven verloren hatte, von den Erynnien zur Strecke gebracht, einer, den Fortuna auf die höchsten Gipfel gelockt und dort nackt der Lächerlichkeit preisgegeben hatte.
Er gab seinem Pferd die Sporen, zog den Säbel, und die verdatterte korsische Reiterei folgte ihm auf die noch verdutzteren genuesischen Truppen zu, die, an Attentate aus dem Hinterhalt gewohnt, mit allem gerechnet hatten, einem Austausch von Kanonen- und Musketenschüsen, so
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