Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
unauffällig wie möglich nach Karnak begab, dann hatte das einen zweifelhaften Grund. Mit dem ihm eigenen sechsten Sinn verfolgte Sayyed Mustafa bis zum ersten Pylon, vorbei an den Widdersphingen bis zum zweiten Pylon, wo dem Aga plötzlich, aber wohl nicht unerwartet, der alte Ahmed Abd-er-Rassul entgegentrat. Gemeinsam verschwanden sie in Richtung des großen Säulensaales, einem steinernen Wald aus 134 gewaltigen Säulen, die größten 24 Meter hoch und zehn Meter im Umfang, furchterregend in ihrer Monumentalität, als hätten einst Riesen hier gehaust oder menschenfeindliche Ungeheuer. Heiteres Vogelgezwitscher wollte so gar nicht in die bedrückende Atmosphäre passen. Im übrigen herrschte atemlose Stille, so daß man beinahe jedes Wort verstehen konnte, das die Männer im Flüsterton redeten.
    Sayyed pirschte sich so nahe an die beiden heran, daß sie nur noch zwei Säulenreihen trennten.
    »Dieser Mann hat uns um ein Vermögen gebracht«, hörte er den Aga sagen, »mich, dich und deine Leute. Und wenn er so weitermacht, wird er uns noch um alle unsere Einnahmen bringen. Er muß weg, dieser Carter muß weg. Wir müssen ihn töten.«
    »Gewiß, verehrungswürdiger Aga«, erwiderte Ahmed, »ich und meine Leute haben einen sicheren Plan gefaßt. Seht her.«
    Sayyed beobachtete, wie Ahmed Abd-er-Rassul ein mehrfach gefaltetes Papier aus seiner dunklen Galabija holte und vor Ayat ausbreitete. Gerade in diesem Augenblick näherte sich vom Eingang her eine Gruppe Engländer im Schlepp eines Fremdenführers, der seinen Landsleuten die Bedeutung der Tempelanlage lautstark und in allen Einzelheiten nahebrachte. Sayyed hatte Schwierigkeiten, das Flüstern von Ayat und Abd-er-Rassul zu verstehen. Ratlos mußte er zusehen, wie der alte Ahmed die Arme gen Himmel streckte und mit dem rechten Zeigefinger seltsame Zeichen in die Luft malte. Was führten die beiden Männer im Schilde?
    Noch am selben Abend begab sich Sayyed zum anderen Nilufer und suchte Carter in seinem Haus bei Dra abu el-Naga auf. Carter sah ihn schon von weitem kommen. Er hatte an der Rückseite seines Hauses eine Art Hochstand gebaut. Dort saß er, wenn die Dämmerung über die Wüste hereinbrach, mit einem Fernrohr und seiner Flinte bewaffnet und hielt Ausschau nach finsteren Gestalten, die sich auf dem Weg zum Tal der Könige oder nach Kurna näherten.
    »Carter-Effendi«, rief Sayyed, »Sie müssen sich in acht nehmen, Ayat will Sie töten!«
    Auf Howard wirkte die Mitteilung Sayyeds eher belustigend. Lachend kletterte er von seinem Hochsitz und fragte: »Hast du Durst, mein Freund, willst du etwas trinken?« Dann machte er Anstalten, in seinem Haus zu verschwinden.
    Sayyed stellte sich ihm aufgebracht in den Weg: »Carter-Effendi, der Aga Ayat hat mit Ahmed Abd-er-Rassul den Plan gefaßt, Sie umzubringen. Ich schwöre bei Allah, ich habe es mit eigenen Ohren gehört!«
    Carter hielt inne und sah den Jungen an: »Was hast du gehört?«
    »Wie Mustafa Ayat zu Abd-er-Rassul sagte: Carter muß weg. Wir müssen ihn töten.«
    »Wann war das? Und wo?«
    »Vor zwei Stunden, Carter-Effendi, im Tempel von Karnak.«
    »Im Tempel von Karnak?« Die Ortsangabe machte Howard nachdenklich. »Was treibt die Kerle nach Karnak?«
    »Ich weiß es nicht, Carter-Effendi, aber ich habe gesehen, daß Ahmed Abd-er-Rassul vor Ayat einen Plan ausgebreitet hat. Leider wurde ich gestört und konnte nicht hören, worum es dabei ging. Sie müssen vorsichtig sein, Carter-Effendi.«
    Howard hielt sein Gewehr in die Luft und rief: »Ich werde mich meiner Haut zu wehren wissen, keine Sorge. Hat dich jemand gesehen? Ich meine, wäre es denkbar, daß Mustafa und Ahmed dir nur etwas vorgegaukelt haben in der Hoffnung, du würdest mir davon berichten, daß sie mir einfach nur Angst machen und mich von meinem Posten vertreiben wollen?«
    »Unmöglich, Carter-Effendi, mich hat niemand bemerkt.«
    »Gut«, erwiderte Howard, »dann sieh zu, daß du jetzt unbemerkt nach Hause kommst. Morgen werde ich in Karnak nach dem Rechten sehen.«
    Während Sayyed sich im Laufschritt entfernte, erklomm Carter erneut seinen Beobachtungsposten. Längst war die Sonne hinter der Bergkette verschwunden. Über dem Niltal breitete sich Dunkelheit aus. Howard blickte zum Himmel, wo im Westen die Venus auftauchte und ein unruhiges, gleißendes Licht verbreitete.
    Für gewöhnlich begann Carters Tag morgens um halb fünf. Jetzt im Herbst sattelte Howard Sir Henry noch in der Dunkelheit und ritt hinüber nach

Weitere Kostenlose Bücher