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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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gelben Kanarienvogel, der unruhig zwischen den Gitterstäben hin und herflatterte.
    »Den habe ich dir mitgebracht«, sagte Evelyn lachend, »er soll sehr gelehrig sein und dir die Einsamkeit vertreiben. Du mußt ihm noch einen Namen geben. Es ist ein Mädchen!«
    »Dann werde ich es ›Eve‹ nennen.«
    »Nichts dagegen!«
    Hand in Hand kletterten sie den Hügel zu Carters Haus empor. »Dein Vater war heute morgen hier«, bemerkte Howard im Bewußtsein, daß er das Ereignis nicht verschweigen durfte.
    »Ich weiß«, erwiderte Evelyn knapp. »Wie seid ihr verblieben?«
    »Es ist aus, alles aus.«
    »Was heißt das?«
    »Dein Vater hat mir befohlen, die Grabungen mit sofortiger Wirkung einzustellen.«
    »Das hat Papa getan? Dieser Schuft! Aber das ist noch lange nicht sein letztes Wort. Ich werde mit ihm reden!«
    »Ich glaube das wird nichts nützen, Eve. Der Lord ist fest entschlossen aufzuhören, und wenn ich ehrlich bin, muß ich sagen: er hat recht. Man kann sein Glück nicht erzwingen.«
    »Doch, Howard. Man kann!« Evelyn blickte zornig drein, und dieser Anblick weckte bei Howard zärtliche Gefühle. Es war rührend anzusehen, wie das kleine Persönchen selbstbewußt auf seiner Meinung beharrte. »Man kann!« wiederholte Evelyn. »Papa hat mir noch nie einen Wunsch abgeschlagen.«
    Carter war verunsichert.
    Oben auf dem Hügel angelangt, bat ihn Evelyn, ihr sein Haus zu zeigen, und nachdem sie alle Räume in Augenschein genommen hatte, meinte Carter leicht verlegen: »Es ist natürlich nicht Highclere Castle, aber gegenüber meinen anderen Behausungen ist es direkt komfortabel. In Amarna habe ich nachts mit Ratten, Schlangen und Skorpionen gekämpft, in meinem Pensionszimmer in Luxor mußte ich unliebsame Besucher fürchten, weil es keine richtige Türe gab, da fühlt man sich hier schon beinahe wie in einem Palast.«
    Evelyn sah Carter voll Bewunderung an. »Du bist so bescheiden, Howard. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß du jemals unzufrieden warst.«
    »Ach was«, bemerkte Carter ungehalten, »Bescheidenheit ist meistens nichts anderes als geheuchelte Demut. Ich wäre nur allzugerne unbescheiden, wenn sich mir die Möglichkeit böte. Aber ich bin nun mal nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren und deshalb auf Leute wie deinen Vater angewiesen.«
    Evelyn nickte nachdenklich. Dann sagte sie: »Willst du mir nicht das Tal der Könige zeigen, Howard? Ich war zwölf Jahre alt, als ich es zum ersten Mal sah. Das ist lange her, und mir ist kaum eine Erinnerung im Gedächtnis geblieben.«
    Gemeinsam erklommen sie die Klippen über dem Tal, von wo der Blick bis zum Nil hinüberschweift.
    Wie ein Prophet breitete Howard die Arme aus und blickte hinab in den Talkessel zu ihren Füßen. Und mit dem Pathos eines Schauspielers bei seinem großen Auftritt rief er: »Das ist meine Welt, Eve. Für manchen besteht dieses Tal nur aus Fels, Sand und Geröll, aber für mich birgt es alle Geheimnisse der Menschheit.«
    Beseelt von seinen Worten, trat Evelyn von hinten an Howard heran und legte ihre Arme um seine Brust. In diesem Moment fühlten beide die magische Anziehungskraft dieses Ortes und ein Glücksgefühl, das unerklärbar schien. Und wenn Howard sie bei der Hand genommen und gerufen hätte: spring! – Evelyn hätte keinen Augenblick gezögert, sich mit ihm in die Tiefe zu stürzen, so gefangen war ihre Seele von dem Augenblick.
    Minutenlang standen sie so aneinandergeschmiegt und genossen ihr Alleinsein. Doch es gab einen Augenzeugen, mit dem weder Howard noch Evelyn rechneten. Eine halbe Meile entfernt, verdeckt durch eine Sanddüne, hielt Lord Carnarvon ein Fernrohr auf sie gerichtet und beobachtete jede ihrer Bewegungen. Es entging ihm auch nicht, wie die Verliebten sich küßten und schließlich auf den Boden sanken. Als das leidenschaftliche Spiel kein Ende nehmen wollte, schob der Lord wütend sein Fernrohr zusammen, stieg aufs Pferd und galoppierte davon.
    Am darauffolgenden Tag, noch ließ der Sommer auf sich warten, und vom Fluß her wehte ein lauer Wind, hielt es Carter nicht in seinem Haus. Er mußte Evelyn wiedersehen, und so machte er sich auf den Weg hinüber nach Luxor. Unter dem Vorwand, die geschäftliche Bilanz der Grabungen abwickeln zu wollen, führte Howard sein Grabungsbuch mit sich, in dem alle Ausgrabungen auf Pfund und Piaster genau verzeichnet waren.
    In der Hotelhalle des »Winter Palace« herrschte große Aufregung um eine exaltierte junge Dame, die, blond und in

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