Der Kofferträger (German Edition)
zu
Carla Brucioli öffnete ihm in der Via Svetonio bereitwillig die Tür. Sie hatte ihn sofort an seiner Stimme erkannt. Beim ersten Hinschauen aber erschrak sie.
„Fürchte dich nicht“, er flüsterte es beinahe. „Ich habe mich aus nahe liegenden Gründen ein wenig verkleidet.“
„Gut, dass du da bist“, meinte sie traurig. „Es ist alles so schrecklich und so brutal.“
Schütz trug noch seinen Mantel, als er bereits nach seiner Freundin fragte.
„Was ist mit Corinna ?“
„ Sie lebt.“
„Werde ich sie sehen können?“
„Ja, natürlich“, antwortete Carla wieder. „Sie hat sich sehr nach dir gesehnt.“
Bei diesen Worten hörte er auf zu fragen. Schütz ging zum Fenster. Die Anspannung, die Unsicherheit und jetzt diese gute Nachricht hießen ihn schweigen. Er fiel erschöpft in einen Sessel und hielt sich ein Tuch vor die Augen. Carla machte sich diskret nebenan in der kleinen Küche zu schaffen. Dann kam sie mit einem Tablett und zwei Tassen Kaffee heraus.
„Sie haben Corinna erst vor Kurzem freigelassen.“
„Wie, was ist los? Wer hat Corinna freigelassen?“ Schütz war von seinem Sitz aufgesprungen.
Erst in dem Augenblick wurde es Carla klar, dass er nicht die ganze Wahrheit kennen konnte. Sie erschreckte sich über ihre eigenen Worte. Sie war zu weit gegangen.
„ Man hatte sie entführt, aber jetzt ist sie okay. Das kann sie dir selbst erzählen, wenn du sie siehst“, fuhr sie schnell fort, um nicht weitere grausame Einzelheiten erzählen zu müssen.
Leichenblass und mit aufgerissenem Mund starrte er auf die Freundin von Corinna. Deswegen konnte er keine Verbindung mit Corinna aufnehmen.
Carla berichtete hastig weiter.
„Wir haben Corinna versteckt. In einem kleinen Appartement bei einer Freundin. Ich bringe dich heute Abend hin.
Zu Fuß liefen sie über verdreckte Gassen und Straßen unter Brücken, zwischen Müllcontainern hindurch. Er hätte beim besten Willen nicht sagen können, wo sie sich befanden. Er ging zu Corinna, das war das einzig Wahre für ihn.
B ei Carlas Freundin trafen sie Corinna nicht an. Die junge Frau, die den Unterschlupf gewährt hatte, rannte aufgeregt durch die Wohnung.
„Als ich vor einer halben Stunde nach Hause gekommen bin, war sie fort. Ich dachte, sie ist ein paar Meter außer Haus gegangen, oder sie ist vielleicht bei dir, Carla?“
„Nein, bei mir ist sie nicht“, Carla starrte ihn an. „Mein Gott, es wird doch nicht ...“ Das Unfassbare war nicht aussprechbar.
Die beiden Frauen schauten hilflos zum Fenster hinaus. Schütz lehnte seine Stirn an eine Fensterscheibe und kühlte sie. Tiefe Leere erfasste ihn.
Die teuflische Zusammenarbeit zwischen der PCD und PCG funktionierte. Auf einen Anruf aus Berlin hin hatten die Schergen der PCG Corinna liquidiert.
Giovanna, die Freundin Carlas schaute ihn mitfühlend an. „Vielleicht ist sie ja gar nicht fort. Vielleicht kommt sie in kurzer Zeit wieder. Bleiben sie hier. Solange bis sie wieder da ist.“
Mit hasserfüllten Augen blickte er Giovanna an: „Wie lange darf ich bleiben.“
Giovanna spürte, der Hass galt nicht ihr.
„Bis Sie die Sache erledigt haben.“
„Es könnte hier rau zugehen. Wo kann ich Waffen bekommen?“
Sie erschrak, aber Carla reagierte schnell.
„Ich helfe dir dabei.“
„Wollen Sie …?“
„Die Ganoven werden mich auch hier suchen, ich werde sie erwarten.“
In den folgenden Stunden baute er die kleine Wohnung in eine Festung um. Giovanna verstand schon lange nichts mehr, schaute sprachlos und ängstlich zu.
Er wartete einen Tag und den zweiten Tag, den dritten und den vierten. Das Warten und Nichtstun brachte ihn um. Lange würde er die Gastfreundschaft der jungen Frau nicht mehr in Anspruch nehmen können.
Am fünften Tag abends besuchte ihn Carla freudig erregt.
„Sie ist frei. Du sollst sie besuchen. Sie hat bei mir auf den Anrufbeantworter gesprochen. Sie konnte ihren Entführern entkommen. Hier sind die genauen Angaben. Eine Yacht in der Marina Aprilia Maritima, nordöstlich von Venedig. Ein Schiff eines Onkels.“
Er war mit Carla schon unterwegs. Auf ihren Namen mietete er ein Auto und raste alleine zum Yachtha fen an der Adria. Jürgen Schütz sollte sich mit ihr auf der ‚Galapagos‘ treffen, einem 12-m-Segelschiff. Die Marina lag in der Laguna di Marano.
Nach vier Stunden blickte er über die gewaltige Anlage des modernen Segelhafens . Schwache Laternen spendeten in der Nacht unter einer geschlossenen Wolkendecke
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