Der Komet
sich selbst zurück. Darum also die ewigen Wiederholungen!« War es das? Verbarg sich hinter den Weltuntergangsträumen des Diplom-Ingenieurs August Biehlolawek ein dermaßen simples und zugleich profundes Geheimnis?
Anton Wohlleben saß an seinem Schreibtisch, das Diktaphon lag vor ihm; er presste die bleiche Intellektuellenstirn in die über ihr gefalteten Hände. Hatte er des Rätsels harte Schale aufgebrochen, sodass ihm nun die Lösung entgegenrollte wie eine Haselnuss? Aber wie sollte er jene zweite, jene konservative Kraft nur nennen? Ihm fiel der finstere Tyrann aus der Lukács-Oper wieder ein: ta-ta-tá-ta-tatáa-ta-tatáa … »Der schwarze Imperator« konnte Dr. Wohlleben aber ja wohl schlecht sagen. Er erinnerte sich nun daran, dass der Meister zur Erläuterung seiner Gedanken gern auf die griechische Mythologie zurückgegriffen hatte. Dr. Wohlleben griff nach seinem billigen Diktiergerät, drückte auf den roten Knopf und sagte: »Die Libido, der Lebenstrieb, hätte in FreudsSprachgebrauch gewiss Eros geheißen, so wie der Gott der Liebe. Wie heißt dann sein dunkler Gegner, der sich in jeder Menschenseele mit ihm rauft? Thanatos. « Das war es; das – pfeilgerade ins Schwarze – war der Name. Der Todestrieb, das Dämonische im homo sapiens sapiens. »Ob es wohl denkbar ist, zumindest theoretisch, dass Menschen sich en masse ins Verderben stürzen, dass sie aus freien Stücken ihrem inneren Todestrieb folgen?« Nein, etwas dermaßen Wider- und Wahnsinniges konnte Dr. Wohlleben sich nicht vorstellen.
Einen kleinen Moment saß der Psychoanalytiker da, ohne auch nur ein Fingerglied zu rühren. Dann schaltete er sein Diktiergerät aus; und mit kurzem Entschluss öffnete er seinen Klapprechner (auch er ein böhmisches Billigprodukt) und fing an, sich Notizen für einen Aufsatz zu machen. Einen Monat später wurde er an prominenter Stelle in den Schriften zur angewandten Seelenkunde gedruckt. Unter dem Titel »Das Thanatos-Prinzip« machte Anton Wohlleben das Fachpublikum dort in tastend-unsicheren Worten mit dem Fall des Weltuntergangsträumers bekannt.
V.
Das Verhängnis
Warum hatte Dudu Gottlieb Astronomie studiert? Weil geschrieben steht: »Rabbi Schimon bar Pazzi sagte im Namen von Rabbi Joschua ben Levi, der sich auf die Autorität von Bar Kappara berief: Einer, der weiß, wie man Kreise und Planetenbahnen berechnet, dies aber nicht praktiziert, über den sagt die Schrift: ›Aber sie haben keine Achtung vor den Taten des Ewigen, keinen Respekt haben sie vor dem Werk seiner Hände.‹ (Jesaja 5,12)« Ferner heißt es: »Rabbi Schmuel ben Nachmani sagte im Namen von Rabbi Joschua: Woher wissen wir, dass es ein Gebot ist, Kreise und Planetenbahnen zu berechnen? Weil es heißt: ›Dies ist deine Weisheit, dies ist dein Verstand in den Augen der Völker.‹ Was sind Weisheit und Verstand in den Augen der Völker? Es sind Kreise und Planetenbahnen.« Siehe im babylonischen Talmud unter: Traktat Schabbát, Abschnitt 75 a.
Als Dudu Gottlieb darum in der Oberstufe des jüdischen Lyzeums seine herausragende Begabung für Mathematik bewies (eine Begabung, von der man allerdings in der Unterstufe, als es ums öde Kopfrechnen ging, noch rein gar nichts bemerkt hatte); als er im Physikunterricht seinen Lehrern mit altklugen Vorträgen auf die Nerven ging, die leider allesamt von echten Kenntnissen befeuert wurden; als er seine beiden Goldhamster »Johannes« und »Isaac« nannte (nach Kepler und Newton); als er nachts das Fernrohr, das sein Onkel ihm zur Bar Mizwa
Hinweis
geschenkt hatte, ohne Umschweife auf den Himmel über Lemberg richtete, weil er unbedingt die Jupitermonde sehen wollte – da war allen klar: Aus dem Jungen wirdeinmal etwas, den müssen wir studieren lassen. Und zwar was? Da gab es nun keine Frage mehr: Kreise und Planetenbahnen. So hatte er mit dem Segen seiner Eltern am Astronomischen Institut der Wiener Universität inskribiert – blutjung war er damals gewesen, sein dunkelbraun-rötlicher Bart hatte ihm noch bis aufs Schlüsselbein gereicht. Heute war er Geheimrat und verheiratet und Familienvater, ergraut und kurz geschoren … und gehörte im weitesten Sinne zum Hofstaat des Kaisers. Niemand in seiner Familie hätte Dudu Gottlieb das zu prophezeien gewagt (nein, auch seine Mutter nicht). Die alten Rabbiner waren halt schlaue Burschen gewesen und hatten vollkommen recht: Astronomische Kenntnisse sind Weisheit in den Augen der Völker.
Siegfried Katz und seine elfenhaft-blonde
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