Der Krieg der Ketzer - 2
auch Dich vergessen mögen, so bitten wir Dich, oh Herr, nicht uns zu vergessen. Amen.«
»Amen!«, wiederholte die versammelte Mannschaft, und es lag so viel Inbrunst darin, dass es fast zornig klang.
Merlin stimmte in dieses ›Amen‹ mit ein, so leidenschaftlich, wie er es jemals ausgesprochen hatte, auch wenn er als Einziger auf ganz Safehold wusste, dass dieses Gebet des ›Erzengels Chihiro‹ eigentlich Sir Jacob Astley zuzuschreiben war. Doch Fuhllyrs Ernsthaftigkeit, und auch die Tatsache, dass er sich in keiner seiner Predigten an Bord der Dreadnought jemals auch nur eine Spur zurückgehalten hatte, nicht an einem einzigen Tag, seit sie aufgebrochen waren, unterstützte nur noch, dass er sich auf etwas verließ, was die ›Vierer-Gruppe‹ nicht berücksichtigt hatte.
Merlin wusste nicht, wie viel von der Entscheidung, Charis zu zerstören, tatsächlich ernster Besorgnis um die Orthodoxie des Königreiches entsprungen war, und wie viel man den zynischen Machtberechnungen einer arroganten, von Grund auf korrupten Hierarchie zuschreiben musste. Er vermutete, dass selbst die das nicht wussten. Doch eines wusste er mit Sicherheit: Niemals wären sie auch nur auf den Gedanken gekommen, ihr Plan, Charis zu zerstören, könne fehlschlagen. Und was auch immer sie zu fürchten geglaubt haben mochten, sie hatten doch keine Vorstellung, was ein wahrer Glaubenskrieg mit sich bringen mochte. Doch wären sie in der Lage gewesen, Pater Raimahnd an diesem Morgen zu hören, dann hätten sie vielleicht im Klang dieser festen, zornigen, geweihten Stimme das Läuten der Totenglocke erkennen können – der Totenglocke für ihre unbestrittene Herrschaft über ganz Safehold.
Genau das hatte Merlin gewollt, auch wenn er es niemals so schnell hatte herbeiführen wollen, nicht, bevor er – und Charis – sich richtig darauf hatten vorbereiten können. Doch Nimue Alban hatte Militärgeschichte studiert, und so wusste Merlin – ganz im Gegensatz zur ›Vierer-Gruppe‹ – ganz genau, wie ein ausgewachsener Religionskrieg verlaufen konnte. Und als er dieses raue, kräftige ›Amen‹ hörte und selbst mit einstimmte, ergriff tödliche Kälte sein Herz – ein Herz, das er eigentlich schon seit langer, langer Zeit nicht mehr besaß.
Gayleb wandte sich herum und begutachtete ein letztes Mal sein Flaggschiff. Um besseren Stand zu finden, hatte man Sand auf die Decks gestreut. Die Kanonen waren bereits in Stellung gebracht, mit Kanonenkugeln und Kartätschen geladen und schussbereit. Marines, bewaffnet mit den neuen Musketen und den zugehörigen Bajonetten, waren in den Netzen des Spardecks und im Top aufgestellt, zusammen mit den Seeleuten, die die dort angebrachten schwenkbaren Kanonen zu bedienen hatten, die alle Safeholdianer mittlerweile nur noch als ›Wölfe‹ bezeichneten. Eimer mit Sand und Wasser standen bereit – sie sollten zum Löschen etwaiger Brände dienen –, die Klampen der Rettungsboote standen leer; sämtliche Rettungsboote wurden jetzt im Schlepptau mitgeführt. Hoch über dem Deck waren Takelwerk und Segel präzise ausgerichtet, sodass sie die ganze Kraft des Windes aufnehmen konnten. Und unter Deck, das ging Merlin durch den Kopf, als er sah, wie einer der jüngeren Midshipmen heftig schluckte, warteten schon die Heiler und die Schiffsärzte mit ihren Messern und Knochensägen.
»Also gut, Captain Manthyr«, sagte Cayleb schließlich und hob bewusst die Stimme, damit auch die anderen hörten, was er seinem Flag Captain zu sagen hatte. »Bitte geben Sie für mich das Signal!«
»Aye aye, Euer Majestät!«, erwiderte Manthyr forsch und nickte dann Midshipman Kohrby zu. »Bitte geben Sie das Signal, Master Kohrby.«
»Aye aye, Sir!« Kohrby salutierte, dann wandte er sich ab und gab mit klarer, deutlicher Stimme den Befehl an seine Signalgeber weiter.
Im gleichen Augenblick, da das Signal in die Rahnock gehisst wurde, stieg die Sonne über den wolkenverhangenen Horizont im Osten. Sie ließ die Wimpel in hellem, goldenem Licht erstrahlen, und die Mannschaft der Dreadnought brach in lautstarken, fast hungrig klingenden Jubel aus. Nur wenige konnten das Signal an der Rahnock lesen, doch ihnen allen war gesagt worden, was es bedeute, und Merlin verzog die Lippen zu einem Grinsen.
Wenn ich der Einzige auf diesem ganzen Planeten bin, der sich an die Geschichte von Terra erinnert, dachte er, dann kann ich eigentlich auch bei allen guten Zitaten, die mir nur einfallen, aus dem Vollen schöpfen!
Cayleb hatte
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