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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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erreicht und ist immer weiter nach Norden gezogen, bis er schließlich in Boston war und sich dort sicher glaubte. Er hatte im Herrenhaus oft bei den Mahlzeiten bedient und die Missus hatte ihm genau gezeigt, wie man das macht, weißt du, Getränke von rechts eingießen, leere Teller von links wegnehmen und all den Kram. Er ist in Boston als Kellner eingestellt worden und hat gutes Geld verdient.
    Am 2. Mai 1854 kamen zwei Gäste in das Lokal. Dem Anthony kamen sie bekannt vor. Zu spät hat er gemerkt, dass es zwei Männer aus dem Süden waren, die bei unserem Massa häufiger zu Gast gewesen sind. Sie haben Anthony auch erkannt und sind gleich zum Gericht gelaufen. Anthony ist eingesperrt worden. Zehn Tage lang hat das Gericht seine Sache verhandelt. Bostoner Bürger haben Protestmärsche veranstaltet, wollten Anthony sogar mit Gewalt aus dem Gefängnis herausholen, aber die Soldaten haben Schüsse in die Luft abgegeben und sie zurückgetrieben. Anthony hat später erzählt, als das Urteil gefällt worden ist, da haben sie den ganzen Gerichtssaal mit schwarzen Trauerfloren ausgeschmückt. Der Richter hat gesagt, es tut ihm persönlich sehr Leid, dass er Anthony zurückschicken muss. Aber Gesetz ist Gesetz, hat er gesagt. Es fällt ihm verdammt schwer, hat er gesagt, aber er sei ein Diener des Gesetzes. Und das Gesetz in Boston und im ganzen Staate bestimmt, dass geflohene Sklaven zu ihren Herren in den Süden zurückgeführt werden müssten.
    Die Soldaten haben Anthony wie einen Schwerverbrecher in Ketten auf ein Schiff geschafft. Ein dichtes Spalier von Bostoner Bürgern hat in Trauerkleidung an den Straßenrändern vom Gefängnis bis zum Hafen gestanden und viele Frauen haben geweint und ihm Blumen zugeworfen. Fahnen mit schwarzen Tüchern haben sie aus den Fenstern rausgehängt. Und als sie meinen Bruder an Bord des Kutters ›Morris‹ geschleppt haben, da hat sogar ein Pastor laut mit der Menge für Anthony gebetet. Wir haben Anthony erst nicht alles glauben wollen und meine Mama hat gesagt, er hätte diese Geschichte aus dem Himmel herabgeholt. Aber später haben mir die Weißen in der Unionsarmee erzählt, das sei alles ganz genau so gewesen und im ganzen Norden und Osten hätten die Zeitungen voll gestanden von Anthony Burns.«
    »Und was ist aus Anthony geworden?«
    »Der Massa hat ihn gefragt: ›Anthony, habe ich dich jemals schlecht behandelt?‹
    ›Nein, Massa‹, hat mein Bruder gesagt.
    ›Hast du nicht gut und reichlich in meinem Hause zu essen gehabt?‹
    ›Ja, Massa, das Essen war immer reichlich und gut.‹
    ›Hast du gefroren, Anthony, oder habe ich dir die Frau verweigert, die du heiraten wolltest, Anthony?‹
    ›Nein, Massa‹, antwortete mein Bruder und die Tränen standen ihm in den Augen.
    ›Warum, Anthony, bist du dann fortgelaufen?‹
    ›Sie waren wie ein Vater zu seinen Kindern zu uns, Massa‹, sagte Anthony. ›Aber mit dreißig Jahren, Massa, ist auch ein Neger kein Kind mehr, sondern ein Mann. Und hier in der Brust, Massa, da ist etwas, das mir sagt, Anthony, ein Mann ist nur ein Mann, wenn er frei ist.‹
    Da ist der Massa ganz traurig geworden und hat zu ihm gesagt: ›Anthony, du wirst in Zukunft in den Feldern arbeiten. Aber vorher muss ich dir mit der Peitsche die Teufelsstimme aus deiner Brust herausschlagen.‹«
    »Und?«, fragte der Junge.
    »Vierzig Schläge hat der Massa ihm selbst über den Rücken gezogen. Anthony hat geschrien, dass sich meine Mama die Ohren zuhielt und sich in eine Ecke verkrochen hat. Später hat sie ein Betttuch mit Schweineschmalz getränkt. Das hat sich Anthony tagelang auf den Rücken binden lassen und das hat ihm vielleicht das Leben gerettet.«
    »Was ist aus ihm geworden?«
    »1861 wollte er mit mir zu General Grant. Ich bin durchgekommen. Er nicht.«
    »Und was ist aus deiner Mama, deiner Familie geworden, als du in den Norden gegangen bist?«
    »Ich habe keine Familie mehr, Massa Luke.«
    »Aber Georgia?«
    »Sie ist die Tochter von Anthony Burns’ Frau«, sagte Jeremy.
    »Warum drückst du das so komisch aus, Jeremy?«
    »Als Anthony in Boston gewesen ist, hat der Sohn vom weißen Massa Anthonys Frau in sein Bett geschleift. Deshalb hat Georgia so eine helle Haut, Massa Luke. Aber Anthony ist gut zu ihr gewesen wie ein Vater. Und ich will jetzt meine Hand über sie halten wie ein Vater, Massa Luke.«
    »Gut, dass die Sklaverei vorbei ist, Jeremy.«
    »Ja, Massa Luke. Aber es ist noch ein langer Weg für den schwarzen Mann, bis er ein

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