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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ausgetauscht, der Segen erteilt, das Festmahl eingenommen … nun saß oder stand man um den Dorfplatz, eine Musikantengruppe mit Fiedeln, Trompeten, Klarinetten, Flöten und Trommeln spielte zum Tanz. Das Neueste waren eine Harmonika und zwei Gitarren, die deutsche Soldaten zurückgelassen hatten. Auf ihnen spielten drei Musikanten aus dem Nebendorf, die einmal in Bacau eine Musikschule besucht hatten.
    Die Jugend von Tanescu tanzte in Gruppen. Die bunten Röcke wirbelten, die mit Federn geschmückten Hüte der Burschen flogen durch die Luft … es wurde gestampft und gesprungen … sich an den Händen fassend tanzten sie wilde Reigen, die sich in schnelle Walzer auflösten.
    Auch Stepan Mormeth war unter den Tänzern. Er hatte es erreicht, daß Sonja mit ihm einen Walzer drehte. Unter den Klängen der Geigen und Trommeln wirbelten sie im Kreis. Die Paare um sie herum hatten mit dem Tanzen aufgehört und klatschten in die Hände. Allein tanzten sie den Walzer unter den bunten Bändern, als seien sie ein Hochzeitspaar.
    Mormeth strahlte. Er war glücklich wie nie. Wenn er an seinen weintrinkenden Kameraden vorbeitanzte, blickte er zu ihnen und kniff fröhlich ein Auge zu. Seht ihr, dachte er. Das ist Mormeth, der Zigeuner! Das schönste Mädchen ist mein! Platzt vor Neid, ihr reinrassigen Rumänen! In meinem Blut ist das Feuer der Vulkane! In meinen Augen liegt die Liebe von Jahrhunderten! In meinen Küssen schmeckt man die Landschaft aller Länder!
    »Man sollte sie wegreißen!« knurrte Mihai Patrascu. Er bemerkte, daß die anderen Bauern ihn schief ansahen. Anna legte die Hand besänftigend auf seinen Arm.
    »In einer Stunde ist alles vorbei«, sagte sie leise. »Sie ist jung. Sie weiß nicht, was ein Zigeuner ist.«
    »Aber er weiß, was er hier gilt! Es ist Frechheit von ihm, gerade unsere Sonja zu nehmen! Man sollte ihn aus dem Dorf prügeln.«
    »Er ist ein Milizsoldat! Du wirst nur Ärger haben mit dem Gemeindeoffizier. Trink ein Glas Wein, Mihai … es ist nur einmal Osterfest.«
    Der Walzer war zu Ende. Mormeth zog Sonja mit sich zu einer der Weinbuden. Er kaufte ihr ein großes Stück Kuchen und einen Krug Rotwein, hob sein Glas hoch und schrie, damit es jeder hörte und teilnahm an seinem Triumph :
    »Noroc ti Sanatate!« (Glück und Gesundheit!)
    Die rumänischen Bauernburschen erwiderten den Trinkspruch nicht. Sie durchbrachen die Sitte und sahen weg. Stepan Mormeth legte den Arm um Sonjas Schulter. Ihre langen Haare kitzelten über seine Haut. Es durchrann ihn wie Feuer.
    »Komm«, sagte er leise. »Gehen wir hinaus. Sie sind alle neidisch, weil sie keine Uniform tragen. Ich will dir draußen erzählen, was ich beim Militär erlebt habe. Vor allem in der großen Stadt Galati! Warst du schon in einer großen Stadt?«
    »Nein, Stepan.«
    »Dann komm mit. Ich kann so viel erzählen …«
    Abseits des Festplatzes, an einem Brunnen, der versteckt hinter den Häusern stand, erzählte ihr Mormeth nichts von Galati. Er erfaßte plötzlich Sonjas Kopf, bog ihn weit zurück und küßte sie auf die fest zusammengepreßten Lippen. Dabei tastete seine Hand über ihren Oberkörper, mit zitternden Fingern.
    Sonja wehrte sich nach dem ersten Schreck. Sie schlug Mormeth mit der Faust zwischen die Stirn, sprang zurück von ihm und raffte einen Stein auf, der neben dem Brunnen lag. Einen großen Stein.
    »Ich schlag' dir den Schädel ein, wenn du noch einmal kommst!« schrie sie wild. »Du schwarzer Lump … du …«
    Sie wich zurück, bis er sie nicht mehr mit ein paar Sprüngen erreichen konnte, dann ließ sie den Stein fallen und rannte zum Festplatz davon.
    Stepan Mormeth blieb auf dem Brunnenrand sitzen. Seine Stirn brannte von dem Faustschlag. Die Haut zwischen den Augen mußte ganz rot sein.
    »Du schwarzer Lump …«, wiederholte er leise. »Das hast du nicht umsonst gesagt, mein Täubchen!«
    Er führte das Leben eines Wolfes. Oder eines Fuchses. Oder einer Ratte. Es blieb sich alles gleich … es war alles, nur nicht das Leben eines Menschen.
    Er lebte von Wurzeln, von geschossenen Wildschweinen, in Schlingen gefangenen Schneehasen oder Beeren und Moosen, aus denen er sich eine Suppe kochte. Er lebte … mehr nicht. Er starb nicht, weil er aß und trank … aber das war auch alles, was sein Leben ausmachte. Essen, trinken, schlafen … und die Tage und Nächte weglebend in dumpfer Einsamkeit.
    Nach einem Monat, kurz vor Weihnachten, glaubte Michael Peters, dem Wahnsinn nahe zu sein.
    Er lebte in einer Höhle,

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