Der letzte Liebesdienst
dabei.
Sie arbeitete jetzt seit über fünf Jahren für Elisabeth Stanitz, Rechtsanwältin, aber sie hatte sie noch nie lachen sehen. Sie schien überhaupt kaum menschliche Eigenschaften zu besitzen. Sie arbeitete wie ein Roboter, manchmal achtzehn Stunden am Tag, es hatte auch schon Gelegenheiten gegeben, bei denen sie im Büro geschlafen hatte. Sie hatte einen Kleiderschrank in einer Ecke, damit sie für solche Fälle immer gerüstet war.
Sie plante alles bis ins Detail, und alles, was sie geplant hatte, führte sie auch durch. Sie hasste es, wenn Termine abgesagt oder verschoben wurden, weil das ihre Planung durcheinander brachte, aber sie ließ sich nicht davon erschüttern. Lara hatte gelernt, in Windeseile eine neue Planung zu erstellen, damit ihre Chefin zufrieden war, weil sie sonst fuchsteufelswild werden konnte.
Warum sie noch für sie arbeitete, konnte Lara sich manchmal selbst nicht erklären, denn was Frau Stanitz von sich selbst verlangte, verlangte sie natürlich auch von anderen. Oft hatte Lara den Feierabend vergessen können, wenn eine wichtige Gerichtsangelegenheit vorbereitet werden musste.
Arbeit ist die beste Möglichkeit zu vergessen, dachte sie. Maja, Fiona . . .
Maja vergessen? Nein, das wollte sie nicht. Und Fiona? – Sie wusste es nicht.
Sie erinnerte sich an den Tag, als sie in Fionas Bett aufgewacht war. Sie hatte nicht sofort gewusst, warum sie in diesem Bett lag, und es hatte ihr nichts ausgemacht. Sie hätte sich nicht dafür geschämt, mit Fiona geschlafen zu haben. Aber dann hatte sich ja herausgestellt, dass nichts passiert war. Nichts außer dieser Übelkeit, die sie sich nicht erklären konnte.
Aber so eine Magenverstimmung gab es hin und wieder einmal, so etwas Besonderes war das auch nicht. Sie hatte fast aufgehört zu essen in der Trauerphase, das Menü war wahrscheinlich einfach zu viel auf einmal für ihren Magen gewesen, obwohl sie es genossen hatte.
Genauso genossen wie Fionas Berührungen, als sie in ihrem Arm lag. Das hatte sie in gewisser Weise erschreckt. Fionas Kuss war so süß gewesen, Lara hatte die zurückgehaltene Leidenschaft bemerkt, aber Fiona hatte trotzdem nichts von ihr verlangt.
Wäre Fiona doch nur etwas fordernder gewesen, dann hätte Lara einfach nein sagen können, aber Fiona hatte nichts weiter getan, als auf Laras Erlaubnis zu warten. Lara hatte nicht gewusst, was sie tun sollte. Fionas Wärme, als sie sich während des Kusses aneinander schmiegten, hatte ihr gefehlt, sobald sie sich voneinander lösten. Sie hatte sich, nicht zum ersten Mal, von ihrem Körper verraten gefühlt.
Glücklicherweise – jetzt nannte sie es so – war dann die Geschichte mit Anke gekommen. Dass Fiona erzählt hatte, wie sie gewesen war. So völlig anders als Lara.
Das hatte ihr eine Ausrede dafür geliefert, dass sie nicht mit Fiona mitgehen konnte. Sie war richtig erleichtert gewesen.
Vielleicht hatte ihr Körper sie dann aber ein zweites Mal ausgetrickst, indem er ihr die Übelkeit schickte, die sie in gewisser Weise dann doch noch mit Fiona zusammengebracht hatte.
Es war schön gewesen, mit Fiona zu frühstücken. Sie lächelte, als sie daran dachte. Während des Frühstücks war sie sich dessen bewusst geworden, dass sie so etwas öfter hätte haben können. Mit Fiona. Wie schön es wäre, sogar gemeinsam aufzuwachen, nicht allein wie dieses Mal.
Sie schüttelte den Kopf. Sie fühlte sich immer noch, als würde sie Maja dann betrügen. Sie wusste, dass es Unsinn war, so zu denken. Sie hätte sich sogar vorstellen können – wenn Maja jetzt bei ihr gewesen wäre –, dass sie ihr dann zugeredet hätte.
Maja hatte das Leben so geliebt, niemals hätte sie Lara davon abhalten wollen. Aber das Leben zu lieben und den Tod zu verkraften waren zwei verschiedene Dinge.
Sie war Frau Stanitz wirklich dankbar dafür, dass sie ihr die Entscheidung, wie sie sich Fiona gegenüber verhalten sollte, abgenommen hatte. Lara wusste nicht, ob sie sie selbst hätte treffen können.
Über sieben Brücken musst du gehen, kam ihr der Text eines Liedes in den Sinn. Sieben dunkle Jahre überstehen .
Ob es wirklich so lange dauern würde?
Manchmal scheint die Uhr des Lebens still zu stehen, manchmal scheint man immer nur im Kreis zu gehen, kamen ihr noch ein paar Fetzen des Liedes ins Gedächtnis zurück.
Ja, genauso kam sie sich vor. Die Uhr des Lebens stand still, seit Maja gestorben war. Als ob sie jemand angehalten hätte. Sie wieder in Gang zu bringen, dazu
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