Der letzte Liebesdienst
wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Allerdings hatte sie nicht lange Gelegenheit, sich darauf zu konzentrieren, denn kurz nach dem Anruf stürmte eine schreiend bunt gekleidete Gestalt zur Tür herein, warf nur einen kurzen Blick auf Lara und stürmte dann weiter in Frau Stanitz’ Büro.
Das alles war so schnell gegangen, dass Lara erst im Nachhinein reagieren konnte. Sie sprang auf und stürzte der Frau hinterher, die mittlerweile vor Frau Stanitz’ Schreibtisch stand.
»Tut mir leid, Frau Stanitz«, keuchte Lara leicht atemlos. »Sie ist einfach an mir vorbei-«
»Schon gut.« Die Anwältin hob eine Hand. »Gehen Sie bitte hinaus und schließen Sie die Tür hinter sich.« Sie sah Lara nicht an, sondern beobachtete die Frau vor ihrem Schreibtisch, als ob sie abschätzen würde, was sie mit ihr machen sollte.
Lara blickte erstaunt von einer der beiden Frauen zur anderen. Da war offensichtlich etwas im Busch, aber sie konnte sich keinen Reim auf das Ganze machen. Sie trat einen Schritt zurück und wollte gerade die Tür zuziehen, als sie hörte:
»Was denkst du dir eigentlich, Elli?«
Jetzt, nachdem sie sie gesehen hatte, erkannte Lara die Stimme wieder: Das war eindeutig die Frau, die Lara von ihrem Platz am Tisch in der Disco vertrieben hatte. Die Diva.
Lara ging langsam zu ihrem Schreibtisch zurück, und automatisch, wenn auch nicht absichtlich, versuchte sie, etwas aus dem Büro von Frau Stanitz zu erlauschen. Aber das war unmöglich, denn die gepolsterte Tür ließ nichts durch. Mandantengespräche sollten alle Diskretion erhalten, die sie kriegen konnten.
Das war auch richtig so, aber in diesem Moment hätte es Lara schon interessiert, was da drin los war. So eine Situation hatte sie in den ganzen Jahren, die sie für Frau Stanitz arbeitete, noch nicht erlebt.
Wenn diese Frau die Schwester ihrer Chefin war, würde Lara einen Besen fressen. Die beiden waren so verschieden wie Tag und Nacht. Das hieß natürlich nichts, es gab solche Schwestern, aber Lara konnte es sich einfach nicht vorstellen.
Sie atmete tief durch und seufzte. Aber das ging sie ja auch gar nichts an. Wer auch immer diese Frau war, Frau Stanitz konnte das sicher allein bewältigen. Sie konnte alles bewältigen, das hatte sie oft genug bewiesen. Es gab keine Situation, mit der sie nicht klar kam.
Die Tür zum Chefbüro wurde aufgerissen.
». . . noch bedauern!«, hörte Lara den Rest eines Satzes. »Du wirst schon noch sehen, was du davon hast!«
Mit den letzten Worten stürzte Diva Deborah an Lara vorbei aus der Kanzlei.
Lara schaute ihr erstaunt nach. Als die Tür zum Büro ihrer Chefin offen blieb und keinerlei Reaktion von Frau Stanitz kam, fragte Lara sich, was sie nun tun sollte. Wenn das privat gewesen war, würde Lara es am besten ignorieren. Frau Stanitz auf etwas Privates anzusprechen fiel ihr nicht ein. Es war klar, dass ihre Chefin darüber nicht reden wollte.
Aber wenn es nicht so ganz privat gewesen war? Vielleicht wollte die Dame sich scheiden lassen, und Scheidungsfälle übernahm die Kanzlei Stanitz nicht. Das konnte auch einiges an Wut auslösen, weil die Leute meistens schon geladen waren von den Auseinandersetzungen mit ihrem oder ihrer zukünftigen Ex. So hatte diese Deborah ausgesehen.
Wenn sie sich von dem Mann, der in der Disco ihr Begleiter gewesen war, scheiden ließ, konnte das nur gut für den Jungen sein. Er war viel zu nett, um mit so einer Frau zusammensein zu müssen, dachte Lara.
Sie seufzte und stand auf. Es war so ruhig im Büro ihrer Chefin, sie konnte sich einfach nicht zurückhalten nachzusehen, was los war. So, wie diese Deborah drauf war, konnte es gut sein, dass sie zugeschlagen hatte.
Lara ging langsam auf die Tür zu, immer in der Erwartung, dass sie sich im nächsten Augenblick schließen würde, aber das tat sie nicht. Als Lara angekommen war, legte sie eine Hand vorsichtig auf die Klinke und streckte ihren Hals wie eine Giraffe, um noch viel vorsichtiger um die Ecke sehen zu können.
Frau Stanitz saß am Schreibtisch und hatte ihr Gesicht in die Hände gelegt. Wäre es jemand anderer gewesen, hätte Lara vielleicht vermutet, dass sie weinte. Aber ihre Chefin weinte nicht. Das war unvorstellbar.
»Frau Stanitz?«, fragte Lara leise. »Kann ich irgendetwas für Sie tun? Einen Kaffee vielleicht?«
Es schien, als hätte die Anwältin sie nicht gehört. Sie rührte sich nicht.
Lara wusste nicht, was sie tun sollte. Blut schien nicht geflossen zu sein, jedenfalls sah es nicht so
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