Der letzte Liebesdienst
aus. Ihre Chefin so regungslos zu sehen, beunruhigte Lara jedoch. Sie machte einen Schritt zurück. Das sah nun doch ziemlich privat aus. Da sollte sie sich nicht einmischen.
Als sie die Tür gerade schließen wollte, hörte sie auf einmal: »Kaffee . . . wäre nett. Danke, Frau Maur.«
Lara schob die Tür wieder auf. »Kommt sofort«, sagte sie. »Soll ich eine Aktennotiz anlegen wegen . . . dieses Zwischenfalls?«
Das Gesicht der Anwältin, das nun sichtbar war, verzog sich zu einer merkwürdigen Grimasse. »Nein, das ist nicht nötig. Keine Aktennotiz. Nur Kaffee, bitte.«
Lara nickte und ging zur Kaffeemaschine, um einen doppelten Espresso herauszulassen. Das war das einzige, was ihre Chefin trank.
Als sie mit der Tasse zurückkam, schien es, als wäre alles wieder normal, eine aufgeschlagene Akte lag vor Frau Stanitz auf dem Tisch, und sie hatte ihren Blick darauf geheftet, als würde sie sie lesen.
Doch schon während sie nähertrat, sah Lara, dass das nicht der Fall war. Frau Stanitz starrte nur bewegungslos vor sich hin.
Lara stellte die Tasse ab. »Sonst noch etwas?«, fragte sie sanft.
Wieder schien Frau Stanitz sie gar nicht zu bemerken, sie nicht gehört zu haben. Dann jedoch sagte sie plötzlich: »Warum sind Sie so nett zu mir, Frau Maur?«
»Äh . . .« Lara runzelte überrascht die Stirn. »Warum?« Sie versuchte, sich eine Antwort zu überlegen, aber ihr fiel nichts Besseres ein als: »Sie sind mein Boss.«
»Nur deshalb?« Frau Stanitz schaute sie nun wieder mit diesem kühlen Anwältinnenblick an, den Lara so gut kannte. »Ich war nicht immer nett zu Ihnen .«
»Sie haben mich nicht entlassen«, sagte Lara.
»Sie haben jahrelang hervorragende Arbeit geleistet«, hielt Frau Stanitz dem entgegen. »Es wäre unfair gewesen, Sie zu entlassen, ohne Ihnen eine Chance zu geben.«
»Ich weiß nicht, ob alle Arbeitgeber das so sehen würden«, erwiderte Lara. »Es war doch eine große Belastung für Sie – für Ihre Kanzlei, meine ich.«
»Ja, das war es.« Die Anwältin lehnte sich in ihrem schwarzledernen Chefsessel zurück und schaute Lara an. »Aber ich habe immer gehofft, dass Sie sich fangen würden.«
Lara stand stumm da, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte.
»Und das haben Sie dann ja auch«, fuhr ihre Chefin nüchtern fort. »Darüber bin ich sehr froh.« Sie sah Lara an, als ob sie eine Antwort von ihr erwartete.
Lara räusperte sich. »Ich auch«, sagte sie. »Es war keine schöne Erfahrung.«
»Sie wollen mir nicht sagen, was es war?«
Ein ungläubiges Erstaunen machte sich in Lara breit. Das war ganz entschieden eine private Frage. Von einer Anwältin, der alles Private verhasst war. Jedenfalls im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis.
»Nein«, sagte Lara. »Ich hoffe, das ist in Ordnung.«
»Absolut.« Frau Stanitz nickte. »Wie Sie in den letzten Jahren mitbekommen haben, trenne ich auch sehr scharf zwischen Beruf und privat. Ich war immer der Ansicht, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat.« Sie schaute kurz zum Fenster und sah Lara dann wieder an. »Nur leider gilt das für manche Menschen nicht. Für Frau . . .«, sie zögerte kurz, »Milano beispielsweise, die gerade hier war.«
»Was für ein Name«, entfuhr es Lara unwillkürlich. »Deborah Milano.«
»Es ist nicht ihr richtiger Name«, erklärte Elisabeth Stanitz. »Es ist ihr Künstlername. Ich glaube, es gibt eine Kosmetikfirma, die so heißt. Sie produzieren sehr grelle Lippenstifte, das hat Deb- Frau Milano gefallen, und deshalb hat sie sich nach dieser Marke benannt.«
Lara verzog etwas schmunzelnd das Gesicht. »Grelle Lippenstifte. Ja, das passt zu ihr. Oh, Entschuldigung«, fügte sie sofort hinzu. »Es steht mir nicht zu, so etwas zu sagen.«
»Doch, doch«, widersprach die Anwältin. »Sie haben sie ja gesehen. Jetzt und auch am Samstag.«
»Am Samstag war es ziemlich dunkel«, versuchte Lara abzuschwächen. »Da konnte ich nicht viel erkennen.«
»Ich glaube, Deborah erkennt man überall und unter jeglichen Lichtverhältnissen«, seufzte Frau Stanitz, lehnte den Kopf an die hohe Rückenlehne ihres Sessels zurück und atmete tief durch.
Dieses Gespräch war mit Abstand das privateste, das sie seit Laras Eintritt in die Firma geführt hatten, und Lara wusste nicht genau, wie sie sich verhalten sollte. »Frau Milano wird keine Mandantin werden?«, fragte sie zurückhaltend.
»Nur über meine Leiche!« Elisabeth Stanitz öffnete weit die Augen. »Und das meine
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