Der letzte Schattenschnitzer
umgebende Finsternis. Dann stürmte er durch den Raum und brach eine brennende Schneise in die Finsternis. Die Kirchenbänke schoben sich auseinander, Gebetsbücher wirbelten durch die Luft, fingen Feuer. Die Flammen ergriffen das Chorgestühl, leckten durch das Dunkel, trieben die Schatten zurück.
De Maester geriet in Rage, zog die Finsternis um sich zusammen, manifestierte sie zu einer Klinge aus schillernder Schwärze, die er im nächsten Moment aus seinem flammenden Inneren heraus tief in den schwarzen Leib seines Gegners rammte.
Das Dunkel um ihn herum jaulte auf. Der Eindringling fuhr zusammen, zuckte zurück, und für den Bruchteil eines Augenblicks war das elektrische Licht der Halogenleuchten wieder zu sehen. Im Zentrum der Kirche sammelte der Verwundete sich zu einem menschlichen Schatten, in dessen rechter Seite eine glühende Wunde klaffte. Im nächsten Moment aber breitete er sich blitzartig wieder aus, füllte die Kirche erneut mit einer Dunkelheit aus, die noch schwärzer war als zuvor. Er erstickte das Feuer de Maesters und schloss sein unerbittliches Dunkel um den letzten verbliebenen Schatten seines Gegners.
De Maester wurde gepackt und vom Boden gerissen. Beinahe mühelos wirbelte der Eindringling ihn durch die Luft, zerrte ihn durch die ganze Kirche. Über Kirchenbänke hinweg, durch den geschnitzten Beichtstuhl und bis auf die Empore. Hilflos musste de Maester all das über sich ergehen lassen, und ihm wurde klar, dass er ihm nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Und doch zerriss der Angreifer diesen letzten Schatten nicht.
Stattdessen umklammerte er das Kreuz am Ende der Kirche und zerrte es aus seiner eisernen Halterung. Der Schatten riss es empor, und mit einem einzigen mächtigen Schlag zerschmetterte er die massive Falltür hinter dem Altar. Holz und Metall schwirrten durch das Dunkel. Dann zerrte er de Maester durch die Öffnung hinab in den Keller, vor das Reliquiar. Die letzte magische Glut aus seinem Inneren saugend, entfachte der Eindringling die Kerzen in dem Gewölbe. Und während zwischen den grob behauenen Wänden eine geradezu ehrfürchtige Atmosphäre entstand, fixierte der Fremde den wehrlosen letzten Rest vom Schatten de Maesters an der Wand gegenüber dem Reliquiar. Er schlug ihn in Ketten aus Finsternis, wollte, dass er Zeuge dessen wurde, was er gleich tun würde.
Im unruhigen Licht der Kerzen schob er sich aus dem zitternden Dunkel hervor, verdichtete sich zu einem Körper. Nach und nach verlor der Schemen des Eindringlings an Durchsichtigkeit, gewann stattdessen an Substanz, bis er schließlich als manifester Schatten vor dem Schrein stand. In seiner Seite erkannte de Maester einen flirrenden Riss im Schatten, die Wunde, die er ihm geschlagen hatte und durch die das Licht der Kerzen hindurchfiel. Scharf zeichneten die Konturen des Eindringlings sich gegen das Licht der Kerzen ab, als er langsam nach der Tür des Reliquiars griff. Und dann wurde de Maester Zeuge, wie sie geöffnet wurde und sein Widersacher vor dem Schatten des Heiligen verharrte.
Dann streckte der fremde Schatten seine Hand nach dem des Heiligen aus und versenkte sie in seinem Inneren. Von einem Moment auf den nächsten schien das kniende Abbild des heiligen Mansuy zu gefrieren. Und als der Unbekannte die finstere Hand in Inneren des Heiligen schloss, bildeten sich mit leisem Knacken dünne Risse in dessen erstarrtem Schatten. Der Eindringling riss die geschlossene Faust wieder heraus, und der Schatten des Heiligen zerbrach. Dunkle Splitter klirrten zu Boden, zerschmolzen auf den groben Steinen und versickerten kurz darauf im Zwielicht der Kerzen zwischen den Ritzen.
De Maester ergriff das Grauen, und ein fürchterlicher Ruck, der bis hinab in den Limbus reichte, durchfuhr die Schattenwelt … Das erste Siegel war gebrochen.
Die Fesseln aus Finsternis lösten sich, und de Maester glitt zu Boden. Und ebenso lautlos und unauffällig, wie er gekommen war, schwand der Schatten des Fremden wieder aus dem Inneren der Kirche von Saint Murebod.
Hemdsärmlig saß Cassus, der Mann mit der silbernen Brille, vor der offenen Tür des Lichtwürfels. Ohne mit der Wimper zu zucken, starrte das Mädchen zurück. Er konnte sich in ihren schwarzen Augen, in denen es keinen Unterschied zwischen Iris und Pupille gab, spiegeln. Seit beinahe einem halben Jahr betrachtete er sich jeden Abend in ihnen und fragte sich dabei jedes Mal wieder, ob irgendwo in diesem Körper, den das Eidolon sich untertan gemacht hatte, noch
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