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Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Aster
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Vorhängeschloss. Kaum dass er das getan hatte, stieß der Fremde das Tor auf, eilte auf seinen am Boden liegenden Hund zu und sank schluchzend neben diesem zu Boden.
    »Oh Gott, Scheiße Mann, Cortez, was haben sie nur mit dir gemacht? Schau dich an. Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht so weit weglaufen, du sollst …«
    In diesem Moment zerriss der Widerhall eines Schusses die Nacht, und der Mann sackte leblos über seinem Hund zusammen.
    Teilnahmslos schob Cassus den Revolver wieder zurück in seinen Hosenbund. Er hatte keine Zeit für weitere Experimente oder Magie. Dies war ein Problem, das schnell erledigt werden musste. Er durfte nicht auffallen. Und ein irrer Spinner, der ihm seines hässlichen Hundes wegen am Ende noch die Federales auf den Hals hetzte, war das Letzte, was er gebrauchen konnte. Morgen würde er als Erstes die Löcher im Zaun abdecken. Die beiden Leichen würde er bis dahin ins Haus schaffen, Kalk darüber schütten und sie dann so bald wie möglich draußen in der Wüste vergraben …

John Dee
    ALCHIMIA UMBRARUM (1604)
    Kapitel XV
    (Seite 154 f.)
     
    VOM BANNEN DER SCHATTEN
     
    E s gibt Zeichen, die starke Kraft in der Welt der Schatten besitzen. Sie entstammen der älteren Geisteswelt Asiens und gehen auf das Wissen chaldäischer Hohepriester zurück, die aus dem Wesen der Schatten und dem Lauf der Sterne das Schicksal der Welt herauslasen. Im Umgang mit den Gesandten der Nacht waren sie die Ersten, welche die Tiefe des Dunkels und die Geheimnisse der Schatten auszuloten wagten. Und noch heute sind es ihre Zeichen, die das Dunkel bändigen und die Schatten bannen können. Die chaldäischen Schattenzeichen sind hierbei in zwei Gruppen unterteilt und wirken auf andere Weise als die noch junge Magie der Schattensprecher. Sie dienten vor allem dem Schutz der Priester, welche die Schatten großer Wesen entfesselten, um sie zu befragen.
    Die einen Zeichen werden dazu verwandt, den Schatten zu betäuben, ihm seine Sinne zu nehmen und ihn zu schwächen. Der Tradition entsprechend, muss man hierfür Ruß und Blut auf die Knochen von Tieren aufbringen, mit denen der Platz der magischen Handlung umgeben wird, um fremde Schatten fernzuhalten.
    Die andere Kategorie der Zeichen dient den Magiern, die in fremden Schatten reisen, als Wegweiser. Sie speichern die Kräfte ihrer Umgebung und bilden so an den Orten, da sie aufgebracht wurden, Schutz vor dem Unbill der Schemen und geben die Gelegenheit, Kraft zu schöpfen.
    Durch das selbstherrliche Wirken des Rates aber findet man das Wissen um die chaldäischen Zeichen dieser Tage beinahe vollkommen getilgt vom Antlitz der Weisheit. Und auch wenn der Katalog der einzigartigen Bibliothek von Alexandria ein gutes Dutzend Bücher nennt, die den chaldäischen Schatten gewidmet sind, sind es dieser Tage doch einzig das Schattenrequiem des Hermes Trismegistos und die wenigen nachgelassenen Papiere des Paracelsus, in denen sie noch Erwähnung finden. Nur in Fragmenten ist das magische Alphabet jener Altvorderen noch erhalten, bloß ein Schatten des Wissens, mit dem die ersten der unseren das Dunkel der Antike erfüllten. Jene wenigen Bannsprüche, welche die Magier der Gegenwart aus den Resten ihrer Weisheit noch zu formen wissen, verbergen sie vor den gewöhnlichen Sterblichen und wirken im Verborgenen.

9.
    Die Hoffnung schwindet im Dunkel,
    die Nacht sitzt zu Gericht,
    die Furcht ist allerorten,
    und es fressen die Schatten das Licht.
    Raimund Hornung
    (1745-1803)
    In Schattengesänge
     
    B evor er den Zug in Richtung Schweiz, nach Ambrì bestieg, hob Jonas Mandelbrodt mit der Karte seiner Mutter an einem Automaten unweit des Bahnhofes Geld ab. Sein Schatten hatte sich oft genug mit dem ihren vereint, um die Geheimzahl zu kennen. Nachdem also das Geld kein Problem darstellte, erwies der Kauf einer Fahrkarte sich wenig später jedoch als Herausforderung für den Jungen. Der Automat in der kleinen Bahnhofshalle war außer Funktion, weshalb Jonas schließlich an den Schalter gehen musste. Die Frau dahinter wirkte, als wäre sie schon in ihrer Uniform geboren worden und gar nicht mehr in der Lage, sie überhaupt noch abzulegen: eine kleine ältere Dame, die ihr gesamtes Leben auf ihren Job abgestimmt hatte. Selbst in ihrem Schatten fand sich kaum etwas anderes als das Bedürfnis, hinter diesem Schalter zu sitzen, diese Uniform zu tragen und ihre Pflicht zu tun.
    In Großbuchstaben prangte ihr Name auf einem kleinen Schild an ihrer Brust. Als Jonas

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