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Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Aster
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stellte sich neben ihn und starrte mit ausdruckslosem Blick hinunter ins Tal. Dann krachten die ersten Schüsse. Marias Miene blieb ausdruckslos. Und der Wächter fuhr fort, aus dem Mund des Alten zu sprechen:
    »Und weil ihnen ihre Magie hier nichts nutzt, versuchen sie es mit Gewalt. So haben sie es immer getan …«
    Jonas sah Mündungsfeuer aus dem Inneren der Häuser blitzen. Mehr und mehr Schüsse wurden abgefeuert, krachten durcheinander. Über Ambrì zog ein von Menschenhand entfachtes Gewitter herauf. Und als die ersten Menschen unter den bleiernen Blitzen zusammenbrachen, war die Bitternis in den Worten des Wächters nicht mehr zu überhören:
    »Ambrìs Bewohner werden sie aufhalten, solange es geht. Ich hoffe, es wird reichen. Aber der Rat hat seinen Söldnern mächtige Zeichen mitgegeben.«
    Unten im Tal sahen Jonas und Maria Flammen aus dem Bahnhof schlagen. Eine dunkle Rauchsäule stieg aus dem Hauptgebäude auf und wirkte dabei wie ein fliehender Schatten. Und obwohl der Junge in ihren schwarzen Augen noch immer keine Regung sah, flüsterte er leise:
    »Was immer auch passiert, ich werde dich beschützen.«
    Die Stimme des Wächters klang schwermütig, als er Malachias’ Augen über das Tal schweifen ließ:
    »Vielleicht wäre es wirklich besser, wenn alles hier enden würde …«
    Jonas fuhr herum. In seinen Augen funkelte es.
    »Aber es muss nicht enden! Was, wenn wir verhindern, dass die letzten Siegel gebrochen werden? Wenn ich es aufhalten kann und dem Rat damit beweise, dass ich keine Gefahr für sein Gleichgewicht bin? Wenn ich mich dem Unbekannten entgegenstelle?«
    »Aber wieso solltest du das tun wollen, Jonas?«
    Jonas wies auf Maria.
    »Um ihretwillen. Damit sie ein Leben hat. Was immer auch aus uns wird, sie hat zumindest eine Chance verdient!«
    Einen kurzen Moment lang schwieg Malachias. Dann aber tönte aus seinem Inneren wieder die Stimme des Wächters:
    »Dieser Wunsch zeigt mir, wer du wirklich bist. Und es lässt mich hoffen, dass das Ende der Welt womöglich anders aussieht, als alle ahnen.«
    Er machte eine Pause. Aus dem Tal drangen Schreie zu ihnen herauf. Dann schien der Wächter einen Entschluss gefasst zu haben.
    »Folge mir Jonas. Ich will dich wappnen für das, was kommt. Du sollst deine Chance bekommen. Und sei es, dass du sie nutzt, um zu erkennen.«
    Jonas folgte Malachias über die grob behauene Treppe hinab in den Keller der Zuflucht. Er spürte, dass die Zeit gekommen war, in der der Wächter ihm seine größten Geheimnisse offenbaren und ihn in einen Teil des Dunkel führen würde, das ihm bis zum heutigen Tag verboten gewesen war.
    Und tatsächlich: Der Schatten des Engels löste sich aus dem Körper des Alten Mannes und drang in die undurchdringliche Finsternis am Ende des Ganges ein. Im nächsten Moment öffnete sich eine schmale Passage darin.
    Jonas blickte Malachias an. Der alte Mann nickte ihm aufmunternd zu.
    »Geh, mein Junge. In diese Kammer hat noch nie ein Mensch vor dir einen Fuß gesetzt. Aber nun ist die Zeit gekommen …«
    Dann wandte Malachias sich ab und ging wieder hinauf in den Wohnbereich der Hütte, während Jonas in das Dunkel eintrat. Die Finsternis umschloss ihn, alle Geräusche verstummten. Jonas ging vollkommenen in der Schwärze auf.
    In ihr erklang die erhabene Stimme des Engels. Und sie füllte die Dunkelheit gänzlich aus:
    »In dieser Kammer, Jonas, ruhen die größten Geheimnisse der Schatten. Jedes einzelne habe ich dem Rat und den Mächtigen ihrer Zeit im Laufe der Jahrhunderte abgerungen.«
    Jonas sah und spürte nichts als Finsternis, aus der die Stimme des Wächter drang.
    »Hier will ich dich und deinen Schatten wappnen und dir den Ort verraten, an dem das vierte Siegel ruht …«
    Im nächsten Moment spürte Jonas, wie sich etwas um seinen Brustkorb schloss.
    »Diesen Panzer haben einst mächtige Schattenschnitzer aus dem Schatten Alexanders des Großen geschaffen. Geschmiedet in der Esse ewiger Nacht und über Jahrhunderte hinweg in Mond- und Sonnenfinsternissen gehärtet, wird er dich vor den Schatten schützen.«
    Jonas fühlte die mythische Kraft des Brustpanzers, den der Wächter um seinen Oberkörper schnallte, spürte, wie sie sowohl ihn als auch seinen Schatten durchflutete.
    Dann streifte der Wächter ihm etwas über den Kopf.
    »Dies ist die Kappe des Hades. Sie entstammt dem ewigen Reich der Schatten und gehörte ihrem Ahnherrn. Hades, dem Ursprung aller dunklen Kunst. Sie vermag dich vor Menschen und Schatten

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