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Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Aster
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unsichtbar zu machen …«
    Auch die Macht dieses Artefakts durchfuhr den Jungen von Kopf bis Fuß, und er spürte, wie sie sich mit der des Brustpanzers verband. Zuletzt gab der Schatten des Engels ihm etwas in die Hand. Etwas, das noch weit mächtiger war als Panzer und Kappe. Er fühlte den Griff eines Schwertes und umklammerte ihn fest, während die Stimme des Wächters das Dunkel erzittern ließ:
    »Und dies, Jonas Mandelbrodt, ist ein Teil meiner selbst, der Schatten des flammenden Schwertes, mit dem die meinen das Paradies verteidigten. Seraphim sind wir gewesen, die Kriegerengel des Herrn, die einst schworen, seine Schöpfung zu bewahren. Die Flammen dieser Klinge sind nur noch Schatten, doch ihre Macht ist weiterhin groß, Fleisch, Stein und Schatten vermag sie zu spalten.«
    Die Macht der Engelsklinge durchdrang Jonas, und für einen Augenblick wunderte er sich, dass die Kräfte dieser Relikte, die aus verschiedenen Zeiten, Kulturen und Wirklichkeiten stammten, dennoch einander ergänzten. Seine Gedanken entgingen dem Wächter nicht.
    »Der Schatten aller Mythen ist eins. Buddha, Gott, Allah und all die vergessenen Götter werfen am Ende nur einen einzigen Schatten.«
    Dieser Gedanke beflügelte Jonas Mandelbrodt. Mit der Kraft dieses Wissens und den drei mächtigen Artefakten glaubte er, dem Verderben und selbst dem Ende der Welt trotzen zu können. Welches Gesicht es auch immer trug.
     
    Wahrlich, nicht nur mein Herr war berauscht von der Macht jener Artefakte. Auch mich durchfluteten der Geist Alexanders, die Macht der Engel und die Magie des Hades!
    Im Panzer des größten aller menschlichen Feldherren schlug der Schatten eines Heldenherzens. In ihm schwangen die Überbleibsel alten Wissens aus Ägypten, Persien und Palästina!
    Und erst die dunklen Flammen jenes Schwertes! Wie herrlich und erschreckend zugleich durchfluteten mich die Kräfte der Seraphim.
    Oh, und dann die Kappe des Herrn aller Schatten! Weichem Leder gleich schmiegte sie sich um das Haupt meines Herrn und damit auch um das meine. Sie erfüllte uns mit uraltem Wissen. Lange bevor die Chaldäer die Sprache der Schatten erlernten, lang bevor die Ägypter sie knechteten, dienten sie bereits Hades, dem ältesten ihrer Herrn. Und nun war ich selbst Hades, Alexander, einer der Seraphim – bereit, dem Ende der Dinge zu trotzen. Und am Fuße meines Herrn ahnte ich, dass Maria, der Wächter, die Schatten des Rates und die Siegel nur Teile eines großen Ganzen waren, das die Zeitalter und Religionen miteinander verband. Tief in den Schatten, in den Weiten des Limbus, hatten ich und dieser Junge etwas losgetreten, das die Welt verändern würde.

    Kaum fünfzig Kilometer von Barcelona entfernt erhob sich im katalanischen Hügelland Spaniens ein Sandsteingebirge, in dessen Gipfelschatten sich ein Kloster befand, das dem Himmel näher war als alle anderen. Santa Maria de Montserrat war vor mehr als tausend Jahren von Benediktinermönchen in den Fels geschlagen worden und ihre Glaubensbrüder lebten heute noch dort. Der größte Teil ihrer Arbeit bestand darin, die Besucherströme aus Pilgern und Touristen zu kontrollieren, die das Kloster Tag für Tag bedrängten.
    Als an diesem Morgen die ersten Strahlen der Morgensonne durch die bunt verglasten Klosterfenster fielen, gingen die Mönche längst ihrem Tagwerk nach. Sie bereiteten sich auf die Wallfahrer vor, die kamen, um zu Füßen der schwarzen Madonna niederzuknien. Die Figur war der größte Schatz des Klosters: knapp einen Meter groß, beinahe komplett in Gold gefasst und mit einem Christuskind auf dem Schoß. Angeblich war sie aus Pappelholz geschnitzt, was aber nicht die eigentümliche schwarze Färbung erklärte. Hierfür versuchte man den Rauch der zahllosen Kerzen anzuführen, die im Lauf der Jahrhunderte zu Füßen der Statue entzündet worden waren.
    Die Wahrheit über die Schwarze Madonna war eine andere, die von alters her nur der Abt des Klosters kannte: Die Skulptur war nämlich aus dem Schatten des Kreuzes Jesu geschnitzt und dem Kloster durch einen der frühen Schattenschnitzer zum Geschenk gemacht worden, im Tausch gegen das Recht, die Mauern Montserrats als Refugium nutzen zu dürfen. Jahrhundertelang hatten die Schattenschnitzer sich in das Kloster zurückgezogen und hier, im Schutz des Ordens, gelehrt und gelernt. Bis die Häscher des Rates das Gleichgewicht auch hierher gebracht hatten …
    Als das Licht der Morgensonne bald darauf die Schatten der Gipfel über die Dächer

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