Der magische Reiter reiter1
die ihr Gesicht benetzte. Als sie endlich die andere Seite erreicht hatte und die Stadt somit bis auf einige baufällige Läden und eine Taverne hinter ihnen lag, zügelte sie Pferd und warf einen Blick zurück.
Es war unmöglich festzustellen, was eigentlich genau geschah – der Mob war eine einzige wogende Masse. Sie fragte sich, was aus der Frau geworden war, die sie »beschuldigt« hatte, eine Grüne Reiterin zu sein. Sie hatte es nicht etwa getan, weil sie Unheil anrichten wollte, sondern um ihre eigene Haut zu retten.
Eine Gestalt auf einem Pferd erhob sich inmitten des Mobs, eine graue Gestalt, die in dem tosenden, brodelnden Strom wie eine Statue wirkte und sich weder vorwärts noch rückwärts bewegen konnte. Karigan durchlief ein Frösteln, weil sie mit ziemlicher Sicherheit wusste, dass diese Gestalt sie unter seiner grauen Kapuze hervor ansah.
DER WILDE RITT
Karigan ritt zwei Tage lang und gönnte sich nur dann eine kurze Rast, wenn sie die Augen nicht mehr offen halten konnte. Die Landschaft bot immer den gleichen Anblick – Baumstümpfe wechselten sich mit Essigsumach und jungen Birken und Ahornbäumen ab, die dort wuchsen, wo sich einst ein großer Tannenwald erstreckt hatte. Viele der wertlosen Bäume waren gefällt worden, um den Zugang zu dem gewinnbringenderen Holz zu erleichtern. Ihre Skelette lagen auf dem Boden, von der Sonne grau gebleicht und ausgetrocknet.
Karigans Haut brannte, und sie kam sich in dem intensiven Sonnenlicht und ohne schattenspendende Baumwipfel, die sich über ihr erhoben, selbst schon ziemlich ausgetrocknet vor. Das völlige Fehlen scheltender Eichhörnchen und zwitschernder Vögel verlieh der Landschaft noch zusätzlich etwas Unheimliches.
Sie verbrachte den größten Teil ihrer Zeit damit, den Blick über das Land schweifen zu lassen. Der Pfad bot keinerlei Deckung, und jeder konnte schon von Weitem erspäht werden. Sie versuchte, darin einen Vorteil zu sehen. Ohne Deckung konnte man ihr auch keine Falle stellen. Sie würde ihre Feinde schon lange im Voraus wahrnehmen.
Sie hatte keine Ahnung, wie weit es bis Sacor war. Einmal
gelangten sie an einen uralten steinernen Wegweiser, der so verwittert und von Flechten überzogen war, dass man die Inschrift beim besten Willen nicht mehr lesen konnte.
Sie überholten mehrere Ochsengespanne, welche mit Holz beladene Schlitten zogen und Staubwolken aufwirbelten, die meilenweit zu sehen waren. Karigan hustete und keuchte hinter ihnen und wünschte, sie hätte einen Schal, den sie sich um Mund und Nase wickeln könnte. Die Frachtmeister achteten nicht auf sie, sondern starrten nur unverwandt auf den Pfad vor ihnen.
Sie verbrachte schlaflose Nächte, in den Mantel eingemummelt, den Säbel griffbereit neben sich. Es gab nicht das geringste Anzeichen einer Verfolgung, und das beunruhigte sie nur umso mehr. Verbrachten andere Grüne Reiter auch schlaflose Nächte? Oder waren sie an die Gefahren der Straße gewöhnt?
Am dritten Morgen, nachdem sie Norden verlassen hatte, wichen die abgeholzten Wälder weiter, offener Flur. Felder in Frühlingsgrün und tiefem Braun erstreckten sich in alle Richtungen. Die Luft wurde frischer und weniger sauer. Hier sangen Vögel in Hecken und vereinzelt oder in Gruppen stehenden Bäumen, doch das Land bot noch immer keine Deckung. Weithin sichtbar pflügten Bauern mit ihren Gespannen auf fernen Hügeln. Karigan setzte ihr Tempo gnadenlos fort und hielt nur lange genug inne, um Pferd eine Verschnaufpause zu gönnen.
Sie stießen auf eine verlassene Scheune, die von Efeu und Dornen überwuchert war, und verbrachten die Nacht darin. Die Scheune neigte sich nach einer Seite, als wolle sie zusammenbrechen, doch der Efeu, fand Karigan, dürfte sie noch wenigstens eine weitere Nacht halten.
Unter einem Dach und außer Sicht schlief sie tief und fest und erschrak nicht einmal über die Fledermäuse, die über der Stelle, an der sie in ihrer Bettrolle zusammengekauert lag, ihre Schlafplätze verließen. Sie erwachte auch nicht, als sie von der Jagd zurückkehrten, genauso wenig wie vom Heulen der Kojoten. Die Nachtwelt war um sie herum in Aufruhr, doch das störte sie nicht.
Am Morgen lugte Karigan durch die Fenster der alten Scheune nach draußen, bevor sie ins Freie trat. Wenn ihr früher der Gedanke gekommen wäre, dass die Scheune der einzige Ort war, der in dieser Gegend Unterschlupf bot, hätte sie auf dieses Versteck verzichtet, weil es zu offensichtlich war. Doch was geschehen war, war
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