Der Mann aus Israel (German Edition)
Raffael zu mir.
„Komm` nach nebenan. Dort gibt es etwas zu essen.“ Er hat plötzlich ins Hebräische
gewechselt. Weshalb denn? Alle sprechen hier anscheinend mit Vorliebe deutsch,
haben die einstige Muttersprache in die neue Heimat hinübergerettet.
In der Küche werden kalte Fischfilets auf Kopenhagener
Porzellan serviert. Fleisch darf keines gereicht werden während der
Trauerwoche, höre ich, Fisch dagegen schon. Machen die es sich kompliziert,
denke ich, mit ihren tausend Regeln, eine antiquierter als die andere.
„Es ist schon spät. Wir müssen gehen.“ sagt Raffael. Seine
Stimme hat wieder diesen schneidenden, unnachgiebigen Tonfall. „Elisabeth reist
morgen früh zurück nach Deutschland.“
Nein, nein, will ich rufen, das tue ich nicht. Ich bleibe
hier. In Jerusalem. Bei Raffael. Aber eine undeutliche Ahnung verhärtet für Sekunden
mein Herz und macht mich schweigen.
Wir verabschieden uns. „Elisabeth, wenn Du wieder ins Land
kommst, dann musst bei mir wohnen. Ich würde mich sehr freuen, Dich näher
kennenzulernen.“ Yaels Einladung rührt mich. Sie klingt aufrichtig. Am liebsten
würde ich ihr um den Hals fallen und um Verzeihung bitten für unsere rohe Lüge.
Raffael drängt mich zur Türe hinaus.
„Einfügen.“ sagt er grinsend auf der Treppe zu mir. Sein
Gesicht hat wieder Farbe, seine Augen glitzern vor Spott. Erkenne ich ihn jetzt
wieder, meinen unverschämten Geliebten, meinen unbeugsamen Partisanen, meinen
verschwenderischen Seeräuber? „Bei diesem Ausdruck hat es Dir ganz nett die
Kinnlade runtergerissen, meine Taube. Nicht wahr? Einfügen ist wohl nicht Dein
Ding!“
„Nein, das ist es ganz und gar nicht.“ Ich blinzle ihn an
und schüttle mich wie ein nasser Hund. Jetzt, wo sich das Tor des Totenhauses
hinter mir geschlossen hat, löst sich meine Starrheit und macht der gewohnten
Beschwingtheit langsam Platz. „Sollte ich mich denn einfügen?“
„Nun“, sagt er schnell. „ich denke schon. Nachdem wir uns
über zweitausend Jahre überall einfügen mussten, seid Ihr nun mal an der Reihe.
Hier. Bei uns.“
„Ja, ja. Aug` um Aug`.“ Kaum erlöst von der Förmlichkeit des
düsteren Trauerrituals, will ich jetzt nicht streiten. „Immer schön
reaktionär.“ sage ich fröhlich. „Je älter die Regeln desto lieber sind sie
Euch. Ha? Zahn um Zahn. Aber diese schöne Sitte stammt gar nicht von Euch. Weißt
Du das überhaupt? Die gab es schon unter Hammurabi in Babylon. Fünfhundert
Jahre vor dem guten alten Moses.“ Raffi hebt seinen Arm. „Zückst Du das
Schwert, mein Luzifer?“
„Aber nein, meine Elfe, ich liebe es, wenn Du Gift spritzt.
Dann sieht man Dir Deine siebenundvierzig Jahre endlich mal an.“ antwortet er
mir mit einem wundersam sanften Lächeln. „Schau mal auf die Uhr! In zehn
Minuten stehen die Deutschen vor Deiner Türe. Wir sollten uns beeilen.“
Schweigend fahren wir zurück ins Hotel. Ich habe meine Arme
um Raffi gelegt, aber es ist mir nicht behaglich dabei. Es ist so gemein von
ihm, mich an mein Alter zu erinnern. Ich weiß, ich benehme mich wie ein
verliebter Backfisch und könnte doch schon Großmutter sein. Ich habe es keine
Sekunde lang vergessen.
„Bereite Du die Stühle vor, ich bringe Gläser.“ ruft er mir
zu, als wir die Einfahrt erreichen. So schnell ich kann, springe ich vom
Motorrad herunter und laufe zum Lift. Kaum im Zimmer, schiebe ich die Stühle
auf den Balkon, rücke die Tischchen zurecht. Aschenbecher, Obstkorb, Blumen.
Alles steht an seinem Platz, da klopft es. Meine Gäste und mein Geliebter sind
da.
Frau Albertz hat ein holpriges Gedicht verfasst, das sie mit
großer Rührung vorträgt. Sie überreicht Raffael, Khalil und mir im Namen der
Gruppe ein Kuvert mit Geld.
„Das Berührendste an dieser Reise“, sie wendet sich an
Raffael. „war sicherlich die Begegnung mit Ihnen. Ihre einzige Liebe gilt Ihrem
Land, und Sie haben uns, lieber Raffael, an dieser Liebe teilhaben lassen. Ohne
Einschränkung. Dafür danken wir Ihnen. Und“, sie macht eine kleine Pause, um Luft
zu holen. Ihre Stimme zittert ein wenig. „auch dafür, dass Sie uns Deutsche so
vorbehaltlos akzeptiert haben. Wir waren, vor allem die Älteren unter uns,
voller Sorge, ob wir auf dieser Reise unsere unerfreuliche Vergangenheit
ständig vorgehalten bekämen. Diese Sorge haben Sie uns genommen. Wir haben uns
in Ihrem Land sehr wohl gefühlt.“ Ich schaue schnell hinüber zu Raffael. Er
steht mir gegenüber und lehnt am Balkongitter.
Weitere Kostenlose Bücher