Der Mann im Park: Roman (German Edition)
schien, als hätten sie etwas getrunken. Eine Frau mittleren Alters mit rabenschwarzem Haar, die ein Buch las. Unauffällig versuchte er den Titel zu erkennen, sah, dass es der letzte Roman von Hjalmar Söderberg war: »Jesus Barabbas«.
Die Straßenbahn hielt an der Haltestelle Slussen. Bis auf ihn stiegen alle Fahrgäste aus, ein Mann in den Fünfzigern mit dunklem Mantel und Regenschirm stieg ein. Bald würde der Nachtfahrplan beginnen.
Der Neue setzte sich auf einen freien Fensterplatz. Er bezahlte beim Schaffner, dann lehnte er sich bequem zurück.
Aber schon an der Haltestelle Folkungagatan stieg der Mann mit dem Regenschirm wieder aus.
Jetzt war er allein im Wagen. Ihm gefiel es, allein zu sein, ihm gefiel die Dunkelheit um ihn herum.
An der Endstation, Danvikstull, stieg auch er aus, wie so oft in dem letzten Jahr, auch wenn das jetzt schon eine Weile her war. Fast zwei Monate.
Er ging langsam durch die Dunkelheit. Der Weg führte am Wasser entlang. Es war still, trotz des Regens. Still und schön.
Er brauchte eine ganze Weile bis Finnberget. Er ging über die Brücke, nach Nacka. Er achtete nicht besonders auf den Weg, auf die Kilometer, bis er am Ziel war. Das tat er eigentlich nie, erst wenn er angekommen war, begannen seine Gedanken wieder zu arbeiten. Aber er mochte die Einsamkeit, den Mangel an Zivilisation.
Er kam an dem stillgelegten Friedhof vorbei, konnte noch die Umrisse der aufgegebenen Gräber erkennen. Dann passierte er die alten, rot gestrichenen Holzbaracken am Hästholmsvägen. Nur in einem Fenster war Licht, sonst waren die Häuser dunkel.
Er setzte seinen Weg fort, bog links den Berg hinauf.
Auf der Kuppe führte der Weg zwischen den kahlen Bäumen entlang, ein paarmal stolperte er auf den regenfeuchten Felsen. Er war ganz allein in der Dunkelheit. Weit von den Lichtern der Stadt entfernt, die er unter sich noch sehen konnte.
Wieder musste er an den Sonntag, den zweiten September denken. An den frühen Morgen zum Montag, dem dritten September. Als er von einem simplen Dieb zum Mörder wurde.
Er hatte gegen vier Uhr nachmittags den Wagen an der Upplandsgatan geparkt. Hatte Erdbeeren mitgenommen, die er am Vortag an einem Stand am Hötorget gekauft hatte, und die Stockholms-Tidningen . Er erinnerte sich noch genau daran, was in der Zeitung gestanden hatte, es schien, als wären alle die Einzelheiten dieses Tages in sein Bewusstsein eingeätzt worden.
Er hatte auf einer Bank an der großen Rasenfläche gesessen, das war eigentlich schon sein Stammplatz. Hatte in aller Ruhe die Zeitung gelesen. Wrackteile des Flugboots Latham, mit dem der norwegische Polarforscher und Nationalheld Roald Amundsen und weitere fünf Männer geflogen waren, waren nordwestlich des Leuchtturms Torsvaag gefunden worden. Die Hoffnung, die Männer lebend zu finden, war seit geraumer Zeit aufgegeben worden, sie wurden seit dem 18. Juni vermisst. Das Flugzeug war von Spitzbergen zu einer Rettungsaktion gestartet, um Forschern der unglückseligen Italia-Expedition zu helfen, die in Not geraten waren.
Achmed Zogu war nun definitiv zum König von Albanien ernannt worden. Ein langer Artikel handelte von dem Verkehrschaos in Norrbro und Vasabron. Eine Schlagzeile wusste er noch auswendig: »Kritik an den Radfahrern: Sie kümmern sich überhaupt nicht um die Verkehrsregeln.«
Viele Stunden lang hatte er auf der Bank gesessen, an diesem Sonntag, dem zweiten September. Hatte beobachtet, dass immer weniger Passanten im Park spazierten.
Ingrid war gegen neun Uhr gekommen. Das hatte ihn verwundert, er war überrascht, dass sie noch so spät unterwegs war. Aber gleichzeitig wusste er, dass damit seine große Chance gekommen war.
Sie war diejenige, die ein Gespräch mit ihm angefangen hatte. Zunächst über ihre Glanzbilder, aber auch über andere Dinge. Darüber, wie traurig sie war, dass der Sommer vorbei war. Über die Schule, über Aufsätze, die sie schreiben wollte.
Er hatte ihr erzählt, dass ihr Vater in der Stadt sei, dass sie ihn sehen könne. Ihr versichert, sie würde nur eine halbe Stunde fort sein, ihre Mutter würde gar keine Zeit haben, sich Sorgen zu machen. Und sie war mit ihm gegangen.
So hatte er ihr Vertrauen gewonnen, damals, als er ihr das erste Mal von ihrem Vater berichtet hatte. Er hatte sie erzählen lassen. Sie kannte ihren Vater nicht, hatte ihn nie getroffen. Sie wusste nur, dass er Bäcker war. Dass er in Göteborg lebte. Er hatte nach dem Namen des Mannes gefragt, aber er wusste nicht
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