Der Mann im Schatten - Thriller
Irgendetwas musste ich bei der ganzen Geschichte übersehen haben. Da war ich mir sicher.
Ich rief Joel Lightner an. »Nichts Neues bei Tommy Butcher«, erklärte er. »Er war wie üblich zu Hause, bei seinem Vater Carlo, im Krankenhaus, auf der Baustelle...«
»Prima, Joel. Warte, ich hab hier eine Sozialversicherungsnummer, über die du was rausfinden sollst, okay?« Ich gab sie ihm durch.
»Und ich nehme an, es soll schnell gehen. So wie üblich.«
»Noch schneller«, bestätigte ich. Ich legte die Papiere ab und sortierte sie in Stapeln. Dann konzentrierte ich mich auf die Notizen des Ermittlers, der Sammys Vater nach der Entführung befragt hatte:
Mr Cutler gab an, zum Tatzeitpunkt, circa zwei Uhr morgens, in McGilly’s Tavern, 2602 South Marks, unten in Travis Heights gewesen zu sein. Er sei dort mit Daniel Caldwell, Rick Eisler und Rusty Norris gewesen. Mr Cutler gab an, er sei ein gewerkschaftlich organisierter Installateur, der kürzlich die Arbeiten am Zusatzbau der Bibliothek des Mansbury College abgeschlossen habe; er, Caldwell, Eisler und Norris seien bei der Emerson Construction Company beschäftigt, dem Hauptunternehmer bei diesem Bauprojekt. Caldwell, Eisler und Norris bestätigten, dass Mr Cutler bis etwa drei Uhr früh mit ihnen im Lokal war.
Es dauerte eine Sekunde, bis ich den Hinweis auf Emerson Construction registrierte. Als ich Tommy Butcher über seine kriminelle Vergangenheit befragt hatte - das getürkte Angebot, das er damals abgegeben hatte -, war mir der Name der Firma, bei der er damals beschäftigt war, nicht weiter aufgefallen. Lester Mapp hatte den Namen erneut erwähnt, als er Butcher bei der Anhörung ins Kreuzverhör nahm. Butcher war 1982 bei Emerson Construction angestellt gewesen. Aber meine Angst, ich könnte die Anhörung verlieren, hatte mich so gefangengenommen, dass ich diesem Umstand auch diesmal kaum Beachtung schenkte.
Doch jetzt erinnerte ich mich wieder: das Picknick der Baufirma anlässlich der Fertigstellung der Mansbury Bibliothek, das ich gemeinsam mit Sammys Familie besucht hatte. Meine letzte, sehr lebendige Erinnerung an Audrey, die über die Parkwiese hüpfte, mit den Süßigkeiten in der Hand. Emerson M&Ms, das hatten wir versuchten, ihr beizubringen, und wir hatten uns gekringelt vor Lachen, als sie den Zungendreher nicht herausbrachte. Em-a-son-ems.
Ich erinnerte mich an Sammys Mutter, die an diesem Tag so glücklich gewesen war, daran, wie sie ständig ihr vom Wind zerzaustes Haar zu bändigen versuchte. Ein guter Moment für sie, ihren Kindern dabei zuzusehen, wie sie lachten und herumtollten. Und während ich darüber nachdachte, wurde mir klar, dass es nicht nur die letzte positive Erinnerung an Audrey war, sondern auch an Mrs Cutler - bevor der Verlust ihrer Tochter ihr jede Lebensfreude raubte, bevor eine schreckliche Krankheit ihr Leben forderte.
Sie wollen, dass Sammy den Prozess gewinnt, und zwar jetzt.
»O mein Gott«, rief ich aus. Ich fuhr von meinem Stuhl hoch, während die Erkenntnis wie eine Welle über mich hinwegbrandete,
und jedes einzelne Teilchen endlich an seinen Platz fiel.
Dann rannte ich zu meinem Wagen.
59
Ich stürmte aus dem Aufzug, durch die Lobby und quer über die Straße zur Parkgarage. Dabei spielte ich das Ganze im Kopf durch, und je klarer sich alles abzeichnete, desto mehr gewann ich an Tempo. Den Lift ließ ich links liegen, sprang stattdessen, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hoch in die dritte Etage. Ich drückte die Fernbedienung, um meinen Wagen aufzuschließen, sah ihn aber nicht blinken. Schon riss ich die Wagentür auf und fummelte den Schlüssel in die Zündung, als mir plötzlich klarwurde, warum der Wagen nicht auf die Fernbedienung reagiert hatte.
Der Wagen war bereits offen gewesen.
Im nächsten Moment umschlang ein Arm von hinten meinen Hals und presste meinen Kopf gegen die Nackenstütze. Gleichzeitig bohrte sich der Lauf eines Revolvers in meine rechte Schläfe.
»Wag es nicht mal, zu atmen.«
Meine Gedanken überschlugen sich, während ich meine Optionen durchging. Aber wenn einem jemand eine Knarre an den Schädel presst, gibt es nicht wirklich viel, was man dagegen unternehmen kann, dass sich das Ding in den eigenen Schädel entleert.
»Ist das Nino, Johnny oder ein anderer aus eurer Komikertruppe?«, fragte ich.
»Oh, das war mein Bruder, den du plattgemacht hast, Kolarich. Und ich bin derjenige, der deinem Bruder den Finger abgesäbelt hat. Falls du’s noch nicht gehört
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