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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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es ihm einfiel, und immer in den gleichen Worten, denn es schien ihm wichtig, seine Bitte stets in ein und dieselbe Form zu kleiden. Aber bald überkam ihn das Gefühl, dass auch diesmal sein Glaube nicht stark genug sein würde. Er konnte dem Zweifel nicht widerstehen, der ihn bedrängte. Er brachte seine eigene Erfahrung auf eine allgemeine Regel.
    »Wahrscheinlich hat niemand jemals genug Glauben.«
    Es war wie mit dem Salz, von dem ihm sein Kindermädchen oft erzählt hatte: Man kann jeden Vogel fangen, wenn man ihm Salz auf den Schwanz streut; einmal hatte er ein Säckchen voll mit in den Park genommen. Aber nie gelang es ihm, nahe genug heranzukommen, um das Salz auf den Schwanz des Vogels zu streuen. Vor Ostern noch hatte er seinen Kampf aufgegeben. Er empfand einen dumpfen Groll gegen seinen Onkel, weil dieser ihn getäuscht hatte. Die Stelle über das Bergeversetzen gehörte zu jenen, die etwas Bestimmtes aussagen, aber etwas anderes bedeuten. Sein Onkel hatte ihn zum Narren gehalten.
    15
     
    Die Kings School in Tercanbury, in die Philip eintrat, als er dreizehn Jahre alt war, war sehr stolz auf ihr langes Bestehen. Sie ging auf eine vor der normannischen Eroberung gegründete Klosterschule zurück, in der Augustinermönche die Grundbegriffe der Bildung gelehrt hatten. Wie manch andere solcher Anstalten wurde sie nach der Zerstörung der Klöster von Bevollmächtigten König Heinrichs VIII. neu organisiert und erhielt so ihren Namen. Seither setzte sie ihr bescheidenes Wirken ohne Unterbrechung fort und widmete sich der Aufgabe, den Söhnen des Landadels und der gebildeten Stände von Kent eine ihren Bedürfnissen angemessene Erziehung zu geben. Ein paar Literaten, angefangen mit einem Dichter, mit dem sich nur Shakespeare an Begabung messen konnte, bis zu einem Schriftsteller, dessen Ansichten auf die Generation, der Philip angehörte, entscheidenden Einfluss ausübte, waren aus ihren Mauern hervorgegangen; sie hatte ein oder zwei bedeutende Rechtsanwälte hervorgebracht – aber bedeutende Rechtsanwälte sind häufig – und zwei hervorragende Soldaten. Während der drei Jahrhunderte ihres Bestehens seit der Trennung vom kirchlichen Orden hatte sie hauptsächlich kirchliche Größen herangebildet: Bischöfe, Dekane, Domherren und vor allem Landgeistliche; es gab in der Schule Knaben, deren Väter, Großväter, Urgroßväter bereits hier erzogen worden waren, die alle Geistliche in Gemeinden der Diözese Tercanbury geworden waren; und diese Knaben traten zumeist mit dem Vorsatz ein, ebenfalls Geistliche zu werden. Aber gewisse Anzeichen wiesen darauf hin, dass sogar hier Veränderungen anstehen würden. Denn einige sagten, als Echo dessen, was sie zu Hause hörten, dass die Kirche nicht mehr sei, was sie einst war. Dabei ging es weniger um Geld als um die Gesellschaftsschicht der Leute, die den geistlichen Beruf ergriffen; zwei oder drei Jungen kannten Hilfsgeistliche, deren Väter Geschäftsleute waren: Lieber wollten sie in die Kolonien gehen (damals waren die Kolonien noch die letzte Zuflucht der gestrandeten Existenzen), als unter irgendeinem Menschen zu arbeiten, der kein Gentleman war. In der Kings School, wie auch im Pfarrhaus von Blackstable, war jeder ein Geschäftsmann, der nicht das Glück hatte, Grund und Boden zu besitzen, oder einen der vier Berufe ausübte, die einem Gentleman ziemten. Von den Externen, unter denen etwa hundertfünfzig Gutsbesitzer- oder Offizierssöhne waren, bekamen diejenigen, deren Väter Handel trieben, ihre niedrigere Stellung deutlich zu spüren.
    Die Lehrer wollten nichts von den modernen Erziehungsmethoden wissen, über die sie manchmal in der Times oder im Guardian lasen, und hofften inbrünstig, dass die Kings School ihren alten Traditionen treu bleiben werde. Die toten Sprachen wurden mit solcher Gründlichkeit gelehrt, dass im späteren Leben selten einer der Jungen ohne Gähnen und Langeweile an Homer und Vergil zurückdenken konnte; und obgleich es ein, zwei kühnere Geister gab, die im Speisesaal beim Dinner anzumerken wagten, dass die Mathematik an Bedeutung gewinnen würde, änderte dies doch nichts an der allgemeinen Ansicht, dass nur die klassischen Sprachen ein wahrhaft vornehmes Studium ausmachten. Weder Deutsch noch Chemie stand auf dem Lehrplan, und Französisch wurde nur von Klassenlehrern gelehrt; sie konnten besser Ordnung halten als Ausländer, und da sie die Grammatik vollkommen beherrschten, hatte es nichts zu sagen, dass keiner von ihnen in

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