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Der Metzger holt den Teufel

Der Metzger holt den Teufel

Titel: Der Metzger holt den Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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dir zu erzählen, dass ich nicht lach! Der hat ein schlechtes Gewissen, das istalles!«, wurde der Danjela von ihrer neuen Freundin süffisant entgegengeschmettert. Dieses peinliche »Halbschwester« wollte der Trixi halt nicht so recht über die Lippen kommen, klingt ja als Ausrede auch wirklich nur lächerlich. Da stünde den männlichen Sippschaften ja ein schier unermesslicher Zuwachs ins Haus, würde jeder Ehebrecher seinen Mätressen eine kleine, nie nachkontrollierbare Blutsverwandtschaft andichten.
    Freunde können sich verdammt hartnäckig selbst die Nächsten sein.

15
    W IE GUT ES SICH ANFÜHLT , wenn der Zug in Fahrt gekommen ist, wenn er sich zwischen seinen Vorbereitungen zurücklehnen und einfach nur warten darf. Und warten kann er, das hat er gelernt, genauso wie die ihn umgebende Hörschwäche in Anbetracht der Hilferufe anderer, den daraus resultierenden Schmerz und das Alleinsein. Mit der Hörschwäche und dem Alleinsein hat er seit jenem Tag, an dem seine Zwillingsschwester nicht mehr lebendig aus dem Wald zurückgekommen ist, leben gelernt. Nur den Schmerz wird er nicht los.
    Zu zweit sind Menschen eher fähig, sich wahrzunehmen, aufeinander zu achten. Genau das haben sie, sich behütet und gestützt. »Wir sind eins«, hat sie ihm stets zugeflüstert, »du bist ich, und ich bin du.«
    Zu dritt jedenfalls ist immer einer allein. Selbst dann, wenn der, der allein ist, alles unternimmt, um dazuzugehören.Alles hatte er nach ihrem Tod unternommen, wirklich alles. Vergeblich. Das für ihre Eltern Wichtigste, seine Schwester, war verloren, er nur das schlechte Duplikat. »Üben, üben, üben, du musst mehr üben, nimm dir ein Vorbild an ihr, so begabt war unser Kind, so unendlich begabt!« Von nun an musste er, der ohnedies in seinem ganzen zerbrechlichen Erscheinungsbild nichts von einem Jungen hatte, noch mehr zu jemand anderem werden.
    »Alles, was wir uns wünschen, ist, dass du ein braver Junge bist.« Das ist er vordergründig geworden: ein richtig braver Junge, der tut, was man ihm sagt, nicht widerspricht und sich nützlich macht. Nützlich ganz im Sinne einer zum Herzeigepüppchen des elterlichen Eifers gewordenen Spieluhr. Hintergründig aber ist er ganz wer anderer geworden, jemand, der die Hinterlassenschaft des einzigen Menschen, der ihm wahrhaftige Liebe entgegengebracht hat, mit Würde zu tragen imstande ist: »Du bist ich, und ich bin du.«
    Geschniegelt vor versammeltem Haus musste er in Erscheinung treten, schöne Töne zum Besten geben und Applaus ernten. Applaus, der nicht ihm galt, sondern den Geltungsdrang seiner Eltern befriedigte.
    Hier wurde nicht gefragt: »Wie geht es dir?«, »Warum weinst du?«, »Weshalb verschließt du dich?« Vielleicht hätten all diese Frage genutzt, um die eine Frage niemals stellen zu müssen: »Warum ist sie nicht so wie sonst aus dem Wald zurückgekehrt, sondern auf einen Baum geklettert mit einem Strick in der Hand!«
    Schließlich kam jener Tag, an dem seine Eltern völlig ansatzlos während einer seiner täglichen Übungsstunden in gewohnter Zweisamkeit in seinem Zimmer auftauchtenund ihm erklärten, wie lieb sie ihr nun einziges Kind doch hätten. Da wusste er bereits: Hier stimmt was nicht. Als ginge es um eine Werbesendung, wurde erklärt, dass er in naher Zukunft zwei Zuhause sein Eigen nennen könne; also eine Mutter da und einen Vater dort. Was selbstredend ziemlich bald nur noch eine Mutter da bedeutete. Und das traf doppelt, denn erstens war sein Vater der Gütigere, und zweitens ist ein verlorener Vater nicht automatisch gleichzusetzen mit dem Fehlen männlicher Präsenz. Eine Mutter blieb ihm also, eine Mutter und Männer, deren Namen er sich irgendwann nicht mehr merken wollte. Wozu auch, sie kannten ja auch den seinen nicht. Eine Mutter, die für ihn nichts weiter war als ein dumpfer Geist mit gespreizten Beinen, der sich vergnügte mit allem, was kraftstrotzend, schwitzend, aggressiv durch die Gegend lief. Er hat genug gesehen von all diesen Frauen, die sich fortpflanzen, prall, lüstern und blind vor Dummheit, auch vor der des hirnlos auf ihnen ächzenden Mannes, und nur wenig später heulen sie sich, als die Verlassenen, die sie geworden sind, mit ihren Kindern an den Brüsten, die Kehle aus dem Hals, auf Trost, Mitgefühl, Hilfe hoffend. Unerträglich ist sie mittlerweile für ihn geworden, diese Anmaßung. Jeder Vollidiot hätte im Vorhinein sagen können, dass es genau so enden würde. Und genau diese weibliche Blindheit,

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