Der Mittelstürmer: Die Geschichte eines schwulen Profi Fussballers
das Fußballspiel an und für sich, doch das ganze Drumherum war ihm zuwider. So sehr er die Fouls auf dem Feld verachtete, so sehr ging ihm das falsche Spiel in seinem eigenen Leben auf den Sack! Er wurde von so vielen Leuten geliebt. Nein, sie liebten nicht ihn. Sie liebten den Fußballer, den ruhigen Mann, die mediale Kunstfigur, die Plakatfigur Marc. Aber würden sie auch den Marc lieben, der er wirklich war? Seit seinem Einstieg als Profifußballer war seine öffentliche Präsenz stetig gewachsen. Für ihn war es zur Selbstverständlichkeit geworden, überall erkannt zu werden. Manchmal fragte er sich, ob er es genoss oder hasste. Und wenn er jetzt ehrlich war, musste er zugeben, es war beides. Seit Koh Samui mit Rachen und Christian müsste er doch sicherer geworden sein. Er hatte doch den Mut gefunden, seinen Gefühlen nachzugeben. Warum verspürte er aber seither so eine Trauer in sich? Wie sollte er aus dieser Situation bloß heil wieder herauskommen?
»Wo hast du denn die Gewürze?«, rief Willma aus der Küche.
Marc lag auf dem Sofa und durfte sich keinen Millimeter rühren. Der Teamarzt hatte ihm eine Woche absolute Ruhe verschrieben, und so war er seiner besten Freundin ausgeliefert.
»Rechts neben dem Herd im Schrank. Willma, warum willst du mir denn eine Grießsuppe kochen? Ich habe doch keine Magenverstimmung.«
»Halt den Mund«, sie kam aus der Küche und brachte ihm einen Fruchtsaft.
»Du wirst gefälligst das tun, was ich sage, schließlich bin ich die Ärztin in der Familie.«
»Dann setz dich endlich zu mir und sprich ein wenig mit mir«, meinte er.
Sie setzte sich neben ihn und sortierte währenddessen die vielen Zeitschriften, die rund um das Krankenlager verstreut lagen.
»Kannst du nicht einfach bei mir sitzen?«, jammerte Marc zwischen dem ganzen Kissengewirr, das Willma um ihn herum aufgetürmt hatte.
»Mir geht’s nicht gut«, sagte er kleinlaut.
»Das glaube ich wohl, wenn du dich nie auskurierst, mein Prinz.«
»Das ist es nicht, Willma. Mir geht’s psychisch nicht gut.«
Nun endlich hörte sie auf, vor ihm wie eine besorgte Glucke rumzuräumen, und konzentrierte sich ganz auf Marc.
»Das verstehe ich nicht? Ich meine, was ist mit Rachen? Du müsstest doch glücklich sein, einen Menschen zu haben, der dich liebt und zu dir steht. Um deiner selbst willen.«
»Ich weiß. Aber irgendetwas lässt mich das alles nicht genießen. Ich habe Angst und gleichzeitig solche Aggressionen in mir. Und in diesen Momenten muss ich dann furchtbar vorsichtig sein, um nicht alles in die Welt hinauszuschreien. Was passiert aber, wenn ich ganz offen mein Leben leben würde?«
»Du weißt so gut wie ich, dass das beruflicher Selbstmord bedeutet«, erwiderte Willma. »Du kennst mich, Marc. Ich stehe zu den Dingen, die ich lebe, und ich nehme kein Blatt vor den Mund. Aber manchmal ist es einfach nicht möglich. Manchmal ist es sogar dumm.«
Sie wartete jetzt seine Reaktion ab. Doch Marc starrte vor sich hin.
»Vielleicht musst du ja gar nicht lügen. Vielleicht musst du ja einzig und alleine nur schweigen. Die Presse fragt sich ja seit Jahren, was mit deinem Privatleben los ist. Und bis jetzt hast du es doch auch ganz gut geschafft. Sag ihnen einfach nur, sie sollen dich in Ruhe lassen. Und sag ansonsten gar nichts.«
Marc blickte sie jetzt an und fragte: »Und so würdest du glücklich werden?«
»Nein«, sprach sie weiter, »aber vielleicht solltest du Zufriedenheit anstreben, nicht Glück. Ich bin eine schwarze Frau. Weißt du, wie lange ich gebraucht habe, das so sagen zu können, wie ich es dir jetzt sage? Ich wollte immer weiß sein. Ich wollte dazugehören. Und, Marc, ich weiß jetzt, dass ich mich nicht anpassen muss, um glücklich zu sein. Ich bin, wer ich bin, und ich lebe mein Leben als schwarze Frau. Und das ist gut so.«
»Das klingt alles so einfach, Willma. Ich habe dich ja deshalb auch wirklich immer bewundert. Aber ich bin nicht so stark wie du. Sonst würde es mir doch jetzt nicht so gehen.«
Marc war dankbar, dass er einen Menschen hatte, mit dem er so sprechen konnte.
Das Display am Crosstrainer zeigte noch fünf Minuten. Marc schloss die Augen, da der salzige Schweiß in seinen Augen brannte. Seine Verletzung schmerzte immer noch, aber er ignorierte sie. Er musste weitermachen. Jedes Mal dasselbe. Warum setzte ihm dieser verdammte Muskel so zu? Unbeirrt kämpfte er sich ans Ziel.
»Willst du Überstunden machen?«, riss ihn René aus seinen Gedanken. Marc hatte gar
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