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Der Mond bricht durch die Wolken

Der Mond bricht durch die Wolken

Titel: Der Mond bricht durch die Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund Crispin
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jedoch durchaus beirren. Einen Augenblick lang scheint es, als seien sie zu Bronze erstarrt. Dann lassen sie einmütig den Mini-Mast und die Winde im Stich und gehen zu dem Gatter, an dem Goodey lehnt. Irgend etwas in ihren Mienen beunruhigt Goodey, der sich ein paar Schritte zurückzieht. Die Techniker gehen durch das Gatter und treten ihrem Hiobströster entgegen. Der ältere Mann geht voraus, aber der andere ist knapp hinter ihm. Der ältere Mann sieht Goodey und beginnt zu sprechen.
    »Verpiß dich bloß«, sagt er vertraulich.
    Goodey ist über einsachtzig groß, aber sein Gegenüber überragt ihn noch um mindestens sieben Zentimeter. Überdies ist er kräftig, braun und sehr muskulös von vielen Stunden Arbeit in der frischen Luft. Keine anderen als versöhnliche Gedanken bewegen Goodeys Gemüt.
    »War nicht bös’ gemeint«, murmelte er.
    »Aber so aufgefaßt«, sagt der Arbeiter. Er starrt Goodey noch einige Sekunden fest an, so als wolle er sich seine Züge für ein persönliches Verbrecheralbum irgendwo hinter seinem Sulcus einprägen. Dann wendet er sich seinem Begleiter zu, nickt kurz und geht mit ihm zurück zu ihrem Schauplatz gemeinsamen Fleißes am Mini-Mast, das Gatter bedächtig hinter sich schließend.
    Der Gamaschenträger unterbricht die Niederschrift lange genug, um die Augen zum Himmel zu richten, vermutlich auf der Suche nach Inspiration. Er findet sie, und der Kugelschreiber tritt auf der Stelle wieder in Aktion.
    Goodey fragt sich, ob er nicht lieber ganz verschwinden und irgendwo anders Ablenkung suchen soll. Die gegenwärtige Situation enthält jedoch Elemente, die unwiderstehlich sind: Goodey fühlt, daß er unbedingt warten und sehen muß, wie die Situation sich zuletzt auflöst. Vorsichtig ja beinahe auf Zehenspitzen nähert er sich wieder dem Gatter.
    Der Gamaschenträger unterbricht sich lange genug, um ein Taschentuch herauszuziehen und sich die Augen zu wischen: Er hat vielleicht gerade mit einer ausführlichen und rührenden Sterbebettszene begonnen.
    Rasselnd wie ein tollwütiger Köter mit Dutzenden leerer Blechbüchsen, die man ihm an den Schwanz gebunden hat, taucht ein Hubschrauber über Worthington’s Steep auf, offenbar an der Reihe von Masten orientiert, zu denen der Pisser gehört. Er erreicht diesen selbst und beginnt ohrenbetäubend zu kreisen, möglicherweise denkt Goodey, der seine Aufmerksamkeit von den Technikern ab- und sie dem Hubschrauber zuwendet in der Absicht, Luftaufnahmen zu machen.
    Aber Hubschrauber sind im Grunde nicht sehr fesselnd, im Gegensatz zu verärgerten Arbeitern.
    Die Drahtwiege quer über der Straße quiekt und lallt wie die wandelnden Toten, gleichzeitig wie jene Römer schaudernd, die das Pech hatten, unterwegs zu sein und ihnen zu begegnen.
    Der ältere Techniker schreit immer wieder: »Eins, zwei , DREI! Eins, zwei, HOPP!« und bei jedem Höhepunkt erhebt sich ein Stöhnen, begleitet von knarrenden Sehnen.
    Die Wiege bleibt am Boden.
    Nachdem er die kleine Großherzogin an ihren krausenbesetzten Damastkissen aufgesetzt hat (Spielzeug am Bett von Faberge), fährt der Gamaschenträger mit dem Schreiben fort. Die kleine Großherzogin lächelt tapfer und lispelt eine Bitte um ein Glas Eau de vie. Nein, doch lieber Limonade oder Passionsfruchtsaft.
    Die Wiege scheint sich jetzt zu bewegen. Nein, sie tut es nicht. Doch, sie tut es.
    Nein, sie tut es nicht.
    Sie ist wieder auf die Straße zurückgefallen. Sexuelle, skatologische und religiöse Flüche werden von den beiden Technikern in rascher Folge ausgestoßen.
    Selbst über diesen und dem Lärm des Hubschraubers nimmt Goodey mit seinen scharfen Ohren ein neues Geräusch wahr. Es wird also nun wirklich Schwierigkeiten geben, denkt er.
    Von Glazebridge her nähert sich rasch eine Staubwolke auf der Straße.
    Daraus wird schließlich ein grauer Mini, gesteuert von einer kleinen Person mit rosigem Gesicht und grauem Hut.
    Es ist der Mann von Sweb.
     
     
    2
     
    Vom Naturell her war der Mann von Sweb ein Ausweicher, kein Entspringer. Er war dreimal eingelocht worden das erste Mal für ein halbes Jahr, dann für knapp über ein Jahr und schließlich für einundzwanzig Monate, aber da er ein Treppentänzer war, ein Einsteigdieb, waren die Richter geneigt gewesen, nachsichtig zu sein, mit der Ausnahme der letzten Gelegenheit, als seine Tat laut Anklage des Staatsanwalts dadurch verschärft worden war, daß er ein Fenster zerbrochen hatte, um >sich Zutritt zu verschaffen< (der Mann von Sweb hatte

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