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Der Naechste bitte!

Der Naechste bitte!

Titel: Der Naechste bitte! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyson Noël
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Bogen doch ein wenig überspannt?, dachte ich, während ich die diebischen Elstern verscheuchte und mich wieder an die Arbeit machte. Als die deutsche Krähe verschwunden blieb, während ich mühsam Reihe für Reihe abarbeitete, schwante mir, dass sie sich zu einem »Toilettennickerchen« zurückgezogen hatte und es dauern konnte, bis sie wieder auf der Bildfläche erschien.
    Das war der Tag, an dem ich die Wahrheit über Rache lernte: Für den Bruchteil einer Sekunde mundet sie wunderbar, doch schon wenig später stellt sich ein entsetzliches Sodbrennen ein.
    Während ich mich den Gang entlanghangelte, mutierte ich wieder zu meinem alten, einsilbigen und distanzierten Ich, was jenen Passagieren, die ich zuvor übertrieben höflich behandelt hatte, leider entging. Da sie weiterhin annahmen, ich würde alles Erdenkliche tun, was ihrer Zufriedenheit und Sicherheit diente, klingelten sie in einer Tour nach ihrer persönlichen Sklavin. Sie wollten ihre Becher aufgefüllt haben, fragten nach Keksen, einem zweiten Kopfhörer, Kissen, Decken, Zeitungen und Zeitschriften. Ein Mann besaß sogar die Dreistigkeit, eine Portion zuckerfreies Sorbet zu bestellen. Ich wusste, dass ich ganz alleine die Schuld an diesem Fiasko trug. Das hatte man davon, wenn man anfing, sich um die Passagiere zu kümmern. Irgendwann war es mir egal, ich hatte mich mit meinem Schicksal abgefunden. Während Helga tief und fest schlief, erstreckten sich noch dreißig Reihen vor mir.
    Ergeben schob ich das neunzig Kilo schwere Biest von Wagen weiter, verteilte Kekse wie Brotkrümel an Tauben und öffnete Flaschendeckel, bis ich Blasen an den Fingern hatte. Während ich mir den Schweiß von der Stirn wischte und den Blick über die endlosen Reihen vor mir schweifen ließ. Dabei kam ich mir vor, als hätte ich es mit Jungvögeln zu tun, die aus Vorfreude auf einen vorverdauten Leckerbissen ungeduldig die Schnäbel aufrissen. Ich verfluchte Helga, die Hassenswerte, in demselben Maße, wie ich mir in mein Hinterteil hätte beißen können, weil ich der wahnwitzigen Idee aufgesessen war, ich könnte sie verändern. Als hätten das nicht schon unzählige Flugbegleiter vor mir versucht.
    Als ich spürte, dass jemand hinter mir stand und mir sachte auf die Schulter klopfte, dachte ich: Jetzt reicht’s. Der Nächste, der eine Extrawurst haben möchte, wird stellvertretend für alle anderen büßen. Mag sein, dass ich meinen Job verlieren und sich niemand mehr an mich erinnern wird. Aber genau wie die legendäre Stewardess vor mir, die, nachdem ein egomanischer Passagier sie mehrfach angeschrien hatte (»Wissen Sie nicht, wer ich bin?«), über Lautsprecher durchgegeben hatte: »Wir haben hier in der ersten Klasse einen leicht verwirrten Herrn, der nicht weiß, wie er heißt. Könnte bitte jemand nach vorne kommen, um ihn zu identifizieren?«, werden sich alle an das erinnern, was jetzt kommt.
    Mit mahlendem Kiefer knallte ich den Plastikbecher, den ich gerade in der Hand hielt, so kräftig auf den Wagen, dass die Eiswürfel mit einem Salto vorwärts heraushüpften. Streitsüchtig fuhr ich herum und blickte einer etwas zu kurz geratenen Person mit einer dicken Brille, Glatze, einem missgebildeten Arm und einem eigenartigen Buckel ins Gesicht. Doch der kleine Mann hatte das offenste Lächeln, das ich in meiner ganzen Karriere bei Atlas erlebt hatte.
    Das war der Moment, in dem ich etwas über Karma lernte. Strenggenommen wusste ich bereits alles darüber, hatte es einfach nur erfolgreich verdrängt. Selbstverständlich gab ich ihm die Extraserviette, um die er mich bat, zusammen mit einem Kissen, einer Decke, einer Packung Kekse und einem Extrapaar Kopfhörer, nach denen er gar nicht gefragt hatte. Wenn ich mich recht erinnere, murmelte ich sogar etwas von zuckerfreiem Sorbet. Danach arbeitete ich die restlichen Reihen ab und parkte den Getränketrolley direkt vor der Toilette, damit Helga nicht mehr herauskam.
     
    Nachdem ich mich erschöpft von der Bushaltestelle nach Hause geschleppt hatte, nahm ich die Post entgegen und sortierte sie auf dem Weg nach oben. Als ich die Tür öffnete und meinen Trolley im Flur abstellte, bemerkte ich, dass der letzte Umschlag von Atlas war. Das schlichte, offizielle Erscheinungsbild des Briefs bescherte mir spontane Bauchschmerzen. Es war wie beim Abziehen von Heftpflastern: Ich wusste, dass ich es schnell hinter mich bringen musste. Nachdem ich den Umschlag aufgerissen und den Brief auseinandergefaltet hatte, überflog ich die

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