Der Nautilus-Plan
Vergehen gehandelt. Ihr Vater war der Meinung, es müsste unbedingt etwas unternommen werden, um den Tod weiterer Kinder zu verhindern. Deshalb heuerte er über irgendwelche dunklen Kanäle einen Auftragsmörder an. Dieser Mann brachte den Aristokraten um, ließ es aber so aussehen, als wäre es ein Autounfall gewesen. Bei Scotland Yard war man natürlich erleichtert. Das Gleiche galt für die Familie. Daher ging niemand den Hintergründen des ›Unfalls‹ genauer nach.«
Simon schwieg überrascht. Und seine Überraschung war um so größer, als er sich der Missbilligung bewusst wurde, die damit einherging. Sir Robert war ein Verfechter der Menschenrechte gewesen. Die Vorstellung, er könnte einen Killer engagiert haben, schien undenkbar, vollkommen atypisch für ihn. Und doch … in einer Hinsicht hatte sein Informant Recht: Der Miller-Street-Killer war ein brutales Monster gewesen, mit einer unersättlichen Gier, kleine Jungen zu quälen. Und Sir Robert hatte damals zwei kleine Söhne und eine zutiefst besorgte Frau gehabt.
»Vor fünf Jahren«, fuhr die Stimme fort, »hat das jemand herausgefunden und Sir Robert zu erpressen versucht. Daraufhin hat er sich die Pulsadern aufgeschnitten. Er beging Selbstmord, um seiner Verhaftung zuvorzukommen, denn er wusste, damit wäre sein Ruf ruiniert gewesen. Es hätte seiner politischen Karriere ein Ende gesetzt. Und natürlich war ihm klar, dass der Skandal seiner Familie geschadet hätte.«
Simon spürte, wie sich alles in ihm zusammenzog. Er dachte, dass auch seine Mutter noch leben würde, wenn sein Vater nicht gestorben wäre. Dann hätte sie sich einen Herzschrittmacher einsetzen lassen. Doch so war sie sechs Monate nach ihrem Mann gestorben. Simon spürte die alte Wut und Trauer wieder in sich hochsteigen. Er hatte seiner Mutter einen Grund zu geben versucht, am Leben zu bleiben, aber am Ende war ihr Kummer zu groß gewesen. Ohne die große Liebe ihres Lebens hatte sie nicht mehr leben wollen. Er hatte hilflos mit ansehen müssen, wie sie immer dünner wurde, ihre Haut immer fahler, und wie ihre Lebenskraft dahinschwand, bis sie nur noch ein Geist war. Es war ein Bild, das er immer mit sich trug, egal, welchen Namen er ihm gab.
Er wechselte das Thema. »Was verlangte der Erpresser von meinem Vater?«
»Dass er im Parlament bei einer Abstimmung zu Fragen des Freihandels gegen seine Überzeugung stimmte.«
Simon nickte. »Aber mein Vater hat sich nie kaufen lassen. Ungeachtet irgendwelcher persönlicher Konsequenzen trat er immer bedingungslos für seine Überzeugungen ein.« Er hielt inne. Sein Vater war nicht ganz ohne Makel gewesen: Er hatte einen Mordauftrag erteilt, und durch seinen Selbstmord hatte er auch seine Frau umgebracht. Ungehalten fuhr Simon fort: »Doch woher konnte der Erpresser von dieser Sache mit dem Auftragskiller gewusst haben? Sie sagten doch, das wäre alles streng geheim gewesen. Hat ihn der Killer selbst erpresst?«
»Ausgeschlossen. Er war tot.«
»Wer war dann der Erpresser?«
»Hören Sie mir eigentlich zu?« Zum ersten Mal hörte Simon Emotionen in der leisen Stimme – kaum gezügelte Wut, die jedoch nicht ihm galt. »Das weiß niemand. Darum bin ich hier. Sie müssen der Sache auf den Grund gehen. Seine Identität herausfinden. Ihm das Handwerk legen.«
Simons rechte Hand ruhte auf der Sitzfläche der Kirchenbank. Er ließ sie zu seinem Bein und der darunter verborgenen Beretta gleiten. »Warum sollte ich Ihnen glauben? Was Sie mir gerade erzählt haben, könnte von Anfang bis Ende erlogen sein. Was wollen Sie wirklich ?«
»Wie ich gesagt habe: diesem Barbaren das Handwerk legen. Nicht mehr und nicht weniger. Leichtgläubig waren Sie doch nie, Simmy-boy, nicht wahr?«
Das ließ Simon zusammenfahren.
»So hat Sie doch Ihr Vater immer genannt, oder? Sie müssen diesen bastardo finden, der schuld am Tod Ihrer Eltern ist. Ich weiß nicht einmal, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Ich weiß einfach zu wenig.« Wieder schlichen sich Emotionen in die Stimme – diesmal war es vor allem Frustration. »Erinnern Sie sich noch an Terrill Leaming, den Freund Ihres Vaters, den Banker aus Zürich? Er kann Ihnen mehr darüber sagen. Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf – erzählen Sie niemandem etwas davon. Keiner von uns weiß, wie weit die Macht der Kräfte reicht, die Sie vielleicht herausfordern.«
»Worüber kann mir Leaming mehr sagen? Und woher wissen Sie überhaupt etwas von dieser Sache?«
Es kam keine Antwort.
Simon
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