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Der Novembermörder

Der Novembermörder

Titel: Der Novembermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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er geschnappt wurde?«
    »Weil das weder Fernsehen noch Kino war! Dieser Kerl ist ein Mörder. Er war mit einer Pistole bewaffnet und vielleicht noch mit anderen Waffen. Und er hätte nicht gezögert, euch zwei als Geiseln zu nehmen, wenn er gewusst hätte, dass ihr die Töchter einer Polizistin seid. Meine Töchter.«
    Jenny kratzte wieder einmal mit dem Fingernagel am Tischrand.
    »Aber ich fand die ganz in Ordnung. Nach den paar Worten, die ich mit ihnen gewechselt hab«, sagte sie störrisch.
    »In Ordnung! Ja, bestimmt, weil sie voll gedröhnt waren mit Amphetaminen und noch anderem Mist!«
    »Glaubst du, er hätte uns umbringen können? Das glaube ich nicht. Jedenfalls sahen die Typen nicht schlimmer aus als andere Junkies«, beharrte Jenny.
    Trotzig warf sie den Kopf in den Nacken, auf dem man im Gegenlicht der Küchenlampe bereits die ersten Stoppeln erahnen konnte. Irene zwang sich, ruhig zu bleiben, und versuchte ihre Worte besonders sorgfältig zu wählen.
    »Jenny, erinnerst du dich daran, wie du mich mit Katarina im Krankenhaus besucht hast am Montag? Weißt du noch, wie ich da aussah? Erinnerst du dich daran, dass ein junger Kollege, der bei mir war, so schwer misshandelt wurde, dass er immer noch im Krankenhaus liegt?«
    Jenny nickte schmollend. Irene sprach unbeeindruckt weiter: »Erinnerst du dich, dass ich von der Handgranate erzählt habe, die ins Haus geworfen wurde, in das sie mich und meinen Kollegen eingesperrt hatten? Erinnerst du dich daran?«
    »Ja, ja, nerv doch nicht so damit. Natürlich erinnere ich mich daran!«
    »Wenn du dich daran erinnerst, wie kannst du dann nur einen Moment daran zweifeln, dass der Typ dich und Katarina hätte umbringen können? Wenn die Verhältnisse nur günstig gewesen wären – oder aus unserem Blickwinkel äußerst unglücklich –, dann hätte ihn nichts daran gehindert! Er war doch dabei, als sie versucht haben, Jimmy und mich umzubringen!«
    Schließlich konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Der letzte Satz wurde zu einem Schrei. Aber sie schaffte es. Jennys Augen wurden groß und feucht. Sie stand auf, ging zu ihrer Mutter und nahm diese in die Arme. Sie sagten nichts, spürten aber beide, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte. Es würde seine Zeit dauern, aber es würde heilen.
    Sie zuckten zusammen, als das Telefon klingelte. Katarina war als Erste am Apparat und nahm ab.
    »Einen Moment. Mama, das ist für dich.«
    »Irene Huss.«
    »Oh, hallo, Irene. Hier ist Mona Söder. Störe ich? Nein? Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Jonas … Jonas ist heute Nacht gestorben … gegen zwei Uhr.«
    Die Stimme hatte fest geklungen, aber jetzt brach sie doch. Gegen zwei. Da hatte Irene gemeint, sie hätte jemanden im Haus weinen gehört.

KAPITEL 19
    Am Sonntagmorgen war es zu spüren. Irene erwachte mit dem unangenehmen Gefühl eines leichten Katers. Was vollkommen ungerechtfertigt war, hatte sie am Abend zuvor doch nicht einmal ein Leichtbier getrunken. Krister schnarchte lautstark neben ihr im Bett. Er war gegen zwei Uhr nachts nach Hause gekommen. Jetzt hatte er sie hinter sich, die Extraschicht, die er mit Sverker getauscht hatte, um sich nach den Vorfällen in Billdal um Irene zu kümmern. Eine Welle der Zärtlichkeit schlug in ihr hoch, und sie schlich so leise sie konnte hinaus, um ihn nicht zu wecken. Es war kurz nach acht. Die Zwillinge würden noch mindestens zwei Stunden lang schlafen. Und sicher auch ihr Vater. Es galt also, diese nutzlosen Stunden so gut wie möglich auszunutzen.
    Sie zog Unterwäsche und Jogginganzug an. Sammie schlief ebenfalls noch. Er war der größte Morgenmuffel in der Familie. Gegen eine Pinkelrunde hatte er nichts einzuwenden, aber doch bitte kein Herumlaufen und Hüpfen am frühen Morgen. Sie klapperte leise mit der Leine. Seine Bedürfnisse meldeten sich und langsam kam er in den Flur. Er gähnte ausgiebig und streckte seinen schlaftrunkenen Körper.
    Es wurde nur eine kurze Runde. Schnell wollte Sammie zurück. Er wusste, dass ein noch warmes Bett auf ihn wartete. Es war dunkel und kalt, aber die Luft war klar und frostig. Irene lief zum Bootshafen von Fiskebäck, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Der salzige Wind blies ihr den Geruch nach Tang in die weit aufgesperrten Nasenflügel und fegte das Gefühl der Schwere von der Stirn. Das schiefergraue Meer schlug seine Wellen gegen die Stege und Polder. Die Vertäuungen knarrten und die Wanten der großen Segelboote, die noch im Wasser lagen, zitterten. Obwohl

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