Der Orkling (German Edition)
fragte Samuel verstört. »Soll das heißen, dass wir alle –«
»Nicht mehr als virtuelle Figuren in einem Spiel seid, ja«, sagte Frank.
»Das kann nicht sein«, protestierte Samuel. »Ich erinnere mich an mein ganzes Leben. Meine Eltern, meine Kindheit. Alles. Mein ganzes Leben! Ich erinnere mich ganz genau an jede Kleinigkeit!«
»Ich auch«, sagte Groxmox.
»Natürlich tut ihr das«, sagte Frank. »Wir haben eure Erinnerungen erfunden. Das ist ja gerade das Sensationelle an dem Programm. In einem normalen Adventure gibt es eine Handvoll vorgefertigter Charaktere, und in den ganz guten sind sie sogar mit einer rudimentären KI gekoppelt, sodass sie sich in eingeschränktem Maße weiterentwickeln. Wir aber wollten mehr. Quarterfields entwirft tausende von eigenständig denkenden Charakteren und stattet sie nicht nur mit komplexen Erinnerungen und Legenden aus, sondern lässt sie auch beständig weiterlernen. Sam war der Meinung, dass die einzelnen Charaktere so komplex werden, dass sie echtem Leben schon ziemlich nahekommen. Und wenn ich mir euch beide so ansehe …« Er tat genau das. »… dann scheint es auch ziemlich gut funktioniert zu haben.«
»Ich, ich verstehe nicht …«, stammelte Samuel. Groxmox nahm jedoch an, dass er es ebenso verstand wie er selbst, und es nur nicht wahrhaben wollte. Ihm erging es ja kaum anders.
»Wir sind nur … Figuren in einem Spiel?«, hakte auch er nach.
Frank hob die Schultern und nuckelte an dem weißen Stäbchen, dessen Spitze noch heller aufglühte. Auch der Rauch aus seiner Nase wurde dichter. »Das klingt jetzt vielleicht erschreckender, als es ist«, sagte er. »Seht es mal so: Ihr seid nichts anderes als das Ergebnis eurer Erinnerungen und Erfahrungen, nicht wahr?«
Samuel starrte ihn nur weiter an, doch Groxmox nickte. Der Ork war nicht ganz sicher, ob er dem Zauberer folgen konnte, aber irgendwie hörte es sich richtig an.
Wenn auch nicht unbedingt beruhigend.
»Bei uns ist es nicht viel anders«, behauptete Frank. »Es gibt eine Menge unter uns, die glauben, dass auch wir von einem … mächtigen Wesen erschaffen worden sind.«
»Wozu?«, fragte Groxmox.
»Das ist ein anderes Thema. Wichtig ist, dass es Sam gelungen ist, beinahe so etwas wie Leben zu erschaffen.«
»Beinahe?«, grollte Groxmox.
»Wofür ihr beide der lebende Beweis seid, nicht wahr? Ich verstehe nur noch nicht ganz, warum ihr jetzt hier draußen seid. Aber das wird mir Sam gleich erklären, wenn er kommt. He! Ich an eurer Stelle wäre jetzt ziemlich aufgeregt, immerhin steht ihr gleich eurem Schöpfer gegenüber. Und dazu müsst ihr nicht einmal sterben.«
Er sah Samuel und Groxmox Beifall heischend an, doch sie starrten nur finster zurück. Tief in sich spürte Groxmox, dass die Worte des vermeintlichen Magiers zwar wahr waren, sich hinter dieser Wahrheit aber noch eine zweite und viel schlimmere Wahrheit verbarg.
»Also gut, Spaß beiseite«, fuhr Frank fort und räusperte sich ein paarmal laut und unecht. »Das wirklich Sensationelle an Quarterfields ist, dass der Spieler nicht mehr vor dem Bildschirm sitzt, oder eine alberne Brille tragen muss. Er klinkt sich wortwörtlich in das Spiel ein. So lange er online ist, sieht und hört er nicht nur, was geschieht, sondern lebt es, versteht ihr?«
»Nein«, sagten Groxmox und Samuel unisono.
»Ja, mir an eurer Stelle würde es wohl genauso ergehen«, seufzte Frank.
Groxmox war nicht ganz sicher, ob es Frank an Franks Stelle nicht so erging, aber anstatt das auszusprechen, fragte er: »Der … Auatar?«
»Avatar.« Frank nickte, und Groxmox setzte noch einmal an. »Der Avatar, den Samuel für dich gehalten hat, das war dann also ein Besucher aus eurer Welt?«
»Euer Schöpfer, sozusagen.« Frank wandte sich direkt an Samuel. »Wenn du auf dieser Seite leben würdest, dann könntest du jetzt mit Fug und Recht behaupten, dass du mit Gott gesprochen hast.«
Samuel schien das nicht im Geringsten komisch zu finden. Seine Augen wurden schmal. »Warum?
»Warum was?«
»Warum ist er zu mir gekommen?«
»Das weiß ich nicht«, gab Frank ganz unverblümt zu. »Ich hatte gehofft, dass du mir das sagen kannst. Du hast mit ihm gesprochen. Was wollte er von dir?«
»Er hat mir Stech übergeben«, antwortete Samuel.
»Stech?«
»Mein Schwert.« Samuel zog Stech aus dem Gürtel und hielt es ihm hin, doch Frank griff erst danach, als er die Waffe herumdrehte, sodass er sie am Griff nehmen konnte.
»Eine prachtvolle Waffe«, sagte er. »Und
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