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Der Orksammler

Der Orksammler

Titel: Der Orksammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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Arterien und muskuläre Verankerung des Herzens wurden ebenfalls zerfetzt, nicht durchtrennt. Es hat den Anschein …«
    Hüsteln. »Das alles sieht danach aus, als wäre dieser Soldat Opfer eines Raubtiers geworden«, bemerkte Meister Lemuel von der anderen Seite der Klappliege und schob seine Augenlinsen auf der Nase hoch – auch dies eine Geste, die er fraglos einstudiert hatte, um Bildung und Eloquenz zu signalisieren. »Eines großen, kräftigen Raubtiers.«
    »Meister Lemuel!« Hippolit sah den kleinen Mediziner scharf an. »Ich will nicht anmaßend erscheinen oder undankbar, dass Sie versuchen, die Ermittlungen voranzutreiben.« Erhoffte, dass das rhythmische Pochen an seiner Schläfe seinen Worten nicht zu viel von ihrer Wirkung nähme. »Auch wenn mein Aussehen anderes suggeriert, so bin ich doch voll ausgebildeter Lichtadept der neunten Stufe. Ich stehe seit über siebzig Jahren im Dienste des IAIT, der höchsten kriminologischen Ermittlungsbehörde unseres Landes. Ich habe während dieser Zeit mehr mysteriöse Fälle aufgeklärt, als Sie auf dem Schlachtfeld Extremitäten amputiert oder Stichwunden vernäht haben.« Im gleichen Maße, wie seine Stimme lauter wurde, begann sie, kippelig zu klingen, eine lästige Begleiterscheinung seiner jugendlichen Stimmbänder, die Hippolit jedes Mal von Neuem erzürnte. »Ich möchte Sie daher bitten, meine fachbezogenen Gedankengänge nicht ständig durch Ihre unqualifizierten Einwürfe zu unterbrechen. Sie können sicher sein …«
    Erregtes Hüsteln. »Ich muss doch …«
    »Sie können sicher sein, dass ich längst alle infrage kommenden Optionen im Geiste durchgegangen bin, lange bevor Ihr laienhaft gebildeter Verstand noch Gelegenheit hatte, sie zu erwägen!«
    Der kleine Mediziner schnappte entrüstet nach Luft.
    »Ihr in kriminologischer Hinsicht laienhaft gebildeter Verstand, meinte ich natürlich«, fügte Hippolit hinzu, dem beim Anblick von Meister Lemuels knallrot anlaufendem Gesicht bewusst wurde, dass er ziemlich scharf geschossen hatte. Er atmete einmal tief durch, bevor er in versöhnlicherem Ton fortfuhr: »Schauen Sie, Meister Lemuel: Ein Tier als Täter scheidet aus verschiedenen Gründen aus. Zum einen gibt es in der Ebene von Torr keine Kreatur, die schnell, umsichtig und vor allen Dingen stark genug wäre, um zehn ausgewachsene Orks zu überwältigen und sie vom Zeltlager fortzuschleppen, ohne Spuren zu hinterlassen. Weiterhin ist mir keine tierische Lebensform bekannt, die ihren Opfern auf zielgerichtete, absolut identische Weise das Herz zu extrahieren in der Lage wäre, und dies ohne Verwendung ihres Gebisses! Die typischen punktuellen Male von Reißzähnen lassen sich nämlich nirgends feststellen.«
    Hippolit zupfte sich die hauchdünnen Paramandirhandschuhe von den Fingern, die er zu Beginn der Obduktion angelegt hatte, und ließ sie achtlos auf den kränklich grünen Schambereich des Orks fallen. »Nein, mein Lieber! Auch wenn es dem Laien auf den ersten Bück so scheinen mag, diese Soldaten wurden nicht von einem Tier getötet. Die einzige berechtigte Frage, die der Verstand des Kriminologen nun selbstredend klären …« Er stutzte. Seine Hand, die er bereits nach den Klammern ausgestreckt hatte, welche die unregelmäßige Öffnung im Leib des Toten offen hielten, verharrte wenige Fingerbreit über der Wunde. »Was, bei Blaak, ist das?«
    Eine einzelne konsonantenreiche Silbe, und der Clutglobulus erstrahlte so grell, dass Meister Lemuel geblendet den Blick abwenden musste. Hippolit nahm eine lange, dünne Zange von einem Tablett, das der Stabsarzt zuvor gebracht hatte, und begann, konzentriert im kalten Fleisch des Orks zu stochern. Sekunden später richtete er sich auf und reckte seinen Fund in den klinischen Schein des Leuchtballes.
    In der Zange klemmte ein gebogenes, mit geronnenem Blut überzogenes Objekt, ungefähr halb so lang wie Hippolits Zeigefinger.
    »Ihre Ausführung war sehr lehrreich, und ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Sie mit meinen kriminologisch minderbemittelten Ergüssen belästigt habe«, ließ sich Meister Lemuel vernehmen und hüstelte geziert. »Aber ich brenne darauf zu erfahren, für was Ihr hoch gebildeter Verstand das hält!«
    Hippolit schloss die Augen und lauschte stumm dem Pochen in seiner Schläfe.
    Kein Zweifel: Was er gefunden hatte, war die abgebrochene Spitze einer Tierklaue. Und zwar die eines sehr großen Tiers!
    »Ich will Sie gewiss nicht erneut belästigen – bei Ubalthes, nein!

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