Der Orksammler

niemand zu wohnen, Häuser waren keine zu sehen. Dafür gab es etwas anderes.
    Jorge stockte bei dem surrealen Anblick der Atem.
    Es war, als seien sie mitten in ein Gemälde des xamenischen Malers Punter Goger gestolpert: Gewaltige graue Gebirge, glatt und makellos gezackt, zeichneten sich wie ein Scherenschnitt vor dem bedeckten Firmament ab. So weit das Auge reichte, war nichts zu erkennen als graue Asche, mal hoch aufgetürmt wie ein Gebirge, mal flacher, an riesige graue Schneewehen erinnernd. Bäume oder Pflanzen gab es nicht. Das einzige Anzeichen von Leben waren absonderliche Gerüstkonstruktionen, die sich auf turmhohen Stelzen hoch über den Horizont reckten, möglicherweise Kräne und Fließbänder zum Umschichten der Asche.
    Agdeman hatte Jorge erklärt, dass die Halden Torrlem auf drei Seiten umgaben, beinahe wie ein Gürtel. Bereits nach wenigen Minuten Fußmarsch war von der Stadt nichts mehr zu sehen. Die Welt ringsum war grau und endlos und karg und tot. Ein heulender Wind fuhr durch die Schluchten und wirbelte graue Wolken in die Höhe. Selbst der Boden unter ihren Füßen bestand aus festgetretener Asche. Eine Gänsehaut rieselte Jorges Rücken hinab, als er daran dachte, woraus diese Asche bestand: Leichen, aus jeder nur denkbaren Provinz herangekarrt, um sie einem gigantischen Verbrennungsapparat zu übergeben. Blaak, er atmete sogar Asche. Er atmete die Überreste der Verstorbenen!
    Während sie so durch die unwirkliche Hügellandschaft gestapft waren, hatte Jorge unablässig auf Agdemans grünes Gurkenfass gestarrt und dessen Worten gelauscht. Bis jetzt!
    Alarmiert starrte ihn der Beseitiger an. »Hast du das gehört?«
    Jorge spitzte die Ohren. Kein Laut war zu vernehmen außer dem unheimlichen Heulen des Windes, der Aschegeister vor sich hertrieb, und einem weit entfernten dumpfen Pochen, das sie schon die ganze Zeit begleitete. Agdeman hatte behauptet, es rühre von riesigen Verdichtungsmaschinen her, die die ständig anwachsenden Aschemengen zu komprimierten Quadern pressten, welche in anderen Bereichen der Halden gelagert wurden.
    »Nein. Was meinst du?«
    Agdeman verzog das Gesicht und legte sich einen Zeigefinger auf den Mund. »Pssst! Bist du wahnsinnig, Mann? Willst du jedes blaakverdammte Monstrum von Torrlem auf dich aufmerksam machen? Die beißen dir glatt den Schädel ab, wenn du hier weiter so rumbrüllst!« Agdeman schüttelte den Kopf. »Trolle«, murmelte er. »Immer das Gleiche mit ihnen.«
    Jorge überlegte, ob er Agdeman für die letzte Bemerkung ein paar aufs Maul geben sollte, besann sich dann aber eines Besseren.
    Sie liefen weiter und gelangten zu einer alten Metallsäule vom Umfang eines Trollbrustkastens, die vergessen und rostig zwischen haushohen Aschehügeln aufragte. Sofort kniete sich Agdeman dahinter auf den Boden und brachte das Rohr seines Zerstörers in Anschlag. »Leise jetzt«, murmelte er. »Ich kann die Monster schon riechen.« Er schnüffelte in der Luft.
    Jorge machte es ihm nach. Asche drang ihm in die Nüstern. Er musste sich die Nase zuhalten, um einen infernalischen Niesanfall zu unterdrücken.
    Eine Ewigkeit kauerten sie so hinter der verrosteten Säule.
    »Wir Trolle haben da ein Sprichwort«, flüsterte Jorge nach einer Weile. »Es geht so …«
    »Pssst! Jorge, halt die Fresse!«
    »Es geht folgendermaßen«, fuhr Jorge fort. »Wenn du lange genug an einem Fluss sitzt, dann schläfst du irgendwann ein, fällst rein und ertrinkst.«
    Unvermittelt bewegte sich etwas zwischen den wehenden Geistern auf einem der Aschehügel, eine kaum merkliche Bewegung gegen den Wind. Jorge, der gerade einen mit Asche angereicherten Batzen Spucke hatte herunterschlucken wollen, hielt den Atem an, kniff die Augen zusammen. Der Speichelklumpen blieb auf halbem Weg in seiner Kehle stecken.
    »Agdeman! Da vorn …«
    Etwas Helles blitzte in dem endlosen Grau auf, ein schmutzig rosafarbener Umriss, noch teilweise von Asche bedeckt.
    Agdeman brachte den Zerstörer in Anschlag. »Ich hab’s dir ja gesagt. Du bist auf der Suche nach einer Art Monstrum? Hier hast du eine Art Monstrum! Verfluchte Biester!«
    Der Asche-Spucke-Klumpen rutschte Jorges Kehle hinab. Gerade noch rechtzeitig erinnerte er sich daran, wieder Atem zu schöpfen. Die Luft schmeckte nach Endgültigkeit.
    Ein helles Sirren erklang aus dem mit Röhren und Kolben versehenen Gurkenfass auf Agdemans Rücken.
    »Gleich ist es so weit. Ab sofort keinen Mucks mehr!«
    Das rosafarbene Ding tauchte von Neuem in