Der Orksammler
vergewissern, dass die Vulvatte noch da war.
Er trat in den Schein der Gaslaterne hinaus und begann, mit gesenktem Kopf nach den Fußspuren zu suchen, die das Wesen hinterlassen haben musste. Doch er fand keine.
Hatte der Wind die Asche verweht, so wie er zuvor Jorges eigene Spuren verwischt hatte? »Pompom … bei Batardos, kannst du mir mal erklären, was das eben war?«
Ein kalter Schauer rann über Jorges Rücken. Was immer er gesehen hatte, es hatte sich schneller bewegt als jedes Lebewesen, das er kannte.
Und es hatte dabei nicht das geringste Geräusch verursacht.
Natürlich nicht.
Die Dunkelheit machte keine Geräusche.
23
Es dauerte nicht lange, dann hatte der glücklich vor sich hinlächelnde Eftar Hippolit einen neuen Stapel Papier aus dem Magazin gebracht. Es handelte sich um Einsatzpläne der Beseitiger-Innung, dazu Listen mit Daten über Anlieferung und Einäscherung von Leichnamen in den Jahren zwischen 2200 und 2300. Hippolit tauchte ein in eine Welt aus Zahlen, Kürzeln und kaum lesbaren Fußnoten, verglich Anlieferungs- und Einäscherungsbelege von Abermillionen Toten, die Jahr für Jahr nach Torrlem gebracht worden waren. Schließlich fand er in den Statistiken eine Aufstellung, die die Zahl der zwischen 2202 und 2299 in den Silos verlustig gegangenen Leichen auf rund fünfhundert Einheiten bezifferte.
Was mochte zu einem solchen Fehlbetrag geführt haben? Gewiss keine Ungenauigkeiten im Zahlenwerk, dazu waren die Dokumentationen viel zu lückenlos und penibel geführt. Neugierig geworden, machte sich Hippolit über die Einsatzpläne der Beseitiger im betreffenden Zeitraum her. Und hier stieß er bald auf einen interessanten Zusammenhang …
Seit Bestehen der Grabstadt war mehr oder weniger regelmäßig eine Abteilung in die Katakomben geschickt worden, die als »Exterminationskommando V« vermerkt war und von der Hippolit annahm, dass sie mit der Beseitigung von Vulvatten beauftragt war. Unregelmäßiger tauchten weitere Kommandos auf, mit Kennbuchstaben wie »H« (für Halgerlak, einen aasfressenden Käfer) oder »R« (für Relph, einen armlangen, haarigen Wurm, der seine Eier in toten Körpern ablegte).
Einzig zwischen 2202 und 2209, also den ersten Jahren der rätselhaften Leichenschwund-Periode, existierten darüber hinaus Eintragungen für ein Exterminationskommando »G«.
So sehr Hippolit auch suchte, er fand nirgends eine Erklärung dieses mysteriösen Kürzels. Dafür gab es Listen mit Anträgen zur Materialbeschaffung, aus denen hervorging, dass Kommando G regelmäßig mit großen Mengen schweren Geräts ausgerüstet worden war: vitrioleumgefüllten Vernichtern, mit Beschleunigem präparierten Schrotröhren, schweren Äxten mit schmerzverstärkten Doppelklingen und so weiter. Andere Listen belegten, dass ohne Unterlass neue Mitarbeiter für Kommando G rekrutiert worden waren. Sonderbarerweise fanden sich nirgends Kündigungsbelege, die den hohen Personalbedarf erklärt hätten.
Irgendwann spürte Hippolit, wie die Müdigkeit ihn übermannte. Er schloss die Augen, bettete das Gesicht in seine Hände und lauschte minutenlang dem fröhlichen Summen vom anderen Ende des Raumes, wo Eftar auf einem Hocker saß und entrückt die Wand anstarrte.
Schließlich richtete er sich wieder auf und begann, die verstreuten Papiere zu einem großen Stapel zusammenzuschieben. Es war völlig unerheblich, worauf die Beseitiger damals in den Katakomben Jagd gemacht hatten. Das Einzige, was er benötigte, um dort unten nach dem Mörder suchen zu können, war ein verlässlicher Plan, mit dem er und Jorge …
Könnte es nicht sein, dass unser Orkmörder ein Ghoul ist, M.H.?
Hippolit schüttelte energisch den Kopf, um Jorges Stimme aus seinen Gedanken zu vertreiben. Zwar lag auf der Hand, dass das Einsatzziel des Kommandos G irgendwie mit dem Verschwinden von Leichen aus den Silos zusammenhing, aber das G mochte ebenso gut für »Glophenmarder« oder irgendein anderes Viehzeug stehen. Der letzte Ghoul war 1899 getötet worden.
Im Jahre 2202, als die ersten Leichen verschwanden, existierten folglich schon lange keine mehr.
Und wenn nun, sagen wir … ein einzelner kleiner Ghoul übrig geblieben wäre?
Wütend kaute Hippolit auf seiner Unterlippe. Die Idee war unsinnig, und das gleich aus mehreren Gründen: Erstens, weil sie von Jorge stammte. Zweitens, weil kein Ghoul – wenn man einmal davon ausging, es hätte tatsächlich ein Exemplar bis ins Jahr 2202 überdauert – einem bis an die
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