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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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morgen würde alles leichter sein, und Anatol schlief gerade beinahe ein, in dem Augenblick, als er sich den Hof betreten sah, die gesprungene Fensterscheibe durch den Rahmen drückend, und das Fensterglas war noch immer nicht am Boden angelangt, als die Tür quietschte wie ein gewürgter Kanarienvogel, wie der Vogel, dachte Anatol, den er in der Wohnung vorgefunden hatte, als er eingezogen war, der Kanarejka, der im Schrank gewohnt hatte, den der Vorbesitzer einfach zurückgelassen hatte. »Den ganzen Schrank hat er vollgeschissen«, flüsterte Anatol, und als Anatol ihn fand, flüchtete er zur Tür hinaus, die nun, da Anatol träumte und beinahe schlief, wie eben dieser Vogel, hätte man ihn gefoltert, quietschte. Und Anatol hatte nicht gleich verstanden, was die quietschende Tür bedeutete, schließlich war es in seinem Kopf noch einige Stunden früher, als er mit vollem Mund und leeren Händen, er hatte in der unbekannten Kleidung nutzloserweise nach seinem Schlüssel geforscht, durchs Fenster sah. Er dachte also, anstatt daran zu denken, dass eine quietschende Tür sich öffnete, an den Kanarienvogel. Natürlich hätte er auch daran denken können, dass er einfach den Riegel nicht vorgeschoben haben könnte und die Tür sich von allein, aus der Kraft des Windes, der in dieser Stadt ausnahmslos vom Meer her kam, oder aufgrund ihrer Verzogenheit öffnete, doch war er hängengeblieben am Kanari, und hätte er an sich selbst öffnende Türen gedacht, hätte er nur einen kurzen Moment der Unsicherheit durchleben müssen, aber gewusst, dass er den Riegel vorgeschoben hatte, gewusst, dass die metallene Tür von einem Jemand und nicht einem Etwas so laut quietschend aufgedrückt wurde. Anatol bemerkte den Jemand erst, als der Kanarienvogel in der Erinnerung zur Tür hinaus und hinter dem Haus gegenüber verschwunden war, weil der Jemand mit einem Stock, der dazu diente, das Klo freizubekommen, auf ihn einschlug, der Stock aus seinem, Anatols, Klo, in das er hätte kacken wollen, das er tausendmal geputzt hatte oder vielmehr tausendmal ein einfältiges Mädchen, das gerne Hausfrau wäre, seine Hausfrau vielleicht, das er mit nach Hause genommen hatte, an dessen Namen er sich dann nicht mehr erinnerte, das überzeugt war, sich an ihn zu binden, das seine Wohnung und Toilette säuberte. Das Kanarejka-Geräusch wurde vom Knurren des Hundes abgelöst, wer da im Dunkeln auf ihn einschlug, hielt also kurz inne, versuchte in der Finsternis zu lokalisieren, wo der Hund sich befände, versuchte auf den Hund einzuschlagen, während Anatol sich unter der Decke hervormühte, von dem Teppich, der seinen Körper zu Boden gesaugt hatte, lösend, und das Licht einschaltete, um zu sehen, dass der Hund den Stock erobert hatte, ein Glück, dass gewiss niemand die Polizei rufen würde, die Milicija arbeitete schließlich nicht unentgeltlich und konnte teurer zu stehen kommen, als ausgeraubt zu werden. Erst am Ende dieser kurzen Überlegung bemerkte Anatol, wie der Fremde in der Wohnung vor Schreck über Anatols Anblick zurückwich. Ein geistig kraftvoll bestückter Mensch hätte wohl anders reagiert, doch dieser Fremde, ein Bursche, etwas jünger, ebenso sehnig und mager wie Anatol, drückte sich mit dem Rücken an die Wand, während Čelobaka weiter knurrte, gleichmäßig, als führe ein Zug donnernd über eine Brücke. »Ein Geist«, flüsterte er, bedeckte seine Augen, denn man durfte den Russalken nicht in die Augen sehen, sie würden einen mitnehmen, in welche Hölle auch immer. Und Anatol konnte das nur zum Teil verstehen, verstand nur, dass es leichter wäre, würde er unzerfetzter aussehen. Er wusste immer noch nicht, wie lange er weg gewesen war, aber offenbar lang genug, dass der Vermieter seine Wohnung schon einem neuen Mieter überlassen hatte. Er begriff, dass er würde gehen müssen, schob die Tür auf, sie quietschte, Čelobaka lief abermals voraus, der Stock, den er noch im Maul trug, schlug an den Türrahmen.
    Als schlüge man ihn, prügelte auf ihn ein mit dem Leben, mit seinem eigenen und nicht nur mit dem stinkenden Stock aus dem Klo, so geduckt schlurfte er über den Hof. Die Nachbarin gegenüber, die würde ihn vermutlich übernachten lassen, sie war immer höflich bis freundlich gewesen. Auch wenn das Lächeln aufgesetzt gewesen sein sollte, sie würde ihn hineinlassen. Vielleicht fände sie sogar passendere Kleidung für ihn. Er stieg die paar eisernen Stufen zu ihrer Tür hinauf, begann zu klopfen, hätte er

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