Der Preis des Schweigens
sowie Gwens unzutreffende Aussagen aufgezählt, die natürlich als Tatsachen präsentiert wurden.
»Sie haben die City-Ausgabe also noch gar nicht gesehen?«, schnaubte der Chief ungläubig.
»Nein, ich habe darauf gewartet, dass die Poststelle sie mir hochbringt.«
»Dann werfen Sie mal einen Blick darauf!«
» IST DER BRANDSTIFTER AUCH EIN MÖRDER? «, fragte die Überschrift sensationsheischend. »Menschliche Überreste in Wohnwagentrümmern gefunden«, lautete der Untertitel.
Ich las die ersten beiden Absätze des Artikels zweimal, bevor ich endlich die Sprache wiederfand. »Was? Was soll das heißen? Stimmt das? Haben wir menschliche Überreste gefunden? Ich hatte letzte Nacht Bereitschaft. Warum hat mich niemand angerufen? Mich hat definitiv keiner angerufen.«
»Wir waren uns nicht sicher, was wir da genau gefunden haben, und wollten die Sache daher erst mal unter Verschluss halten, bis wir der Presse heute Konkreteres vorlegen können«, erklärte der Detective Inspector über die Schulter seines Vorgesetzten hinweg und verdrehte die Augen, um mir zu verstehen zu geben, dass er den Chief für einen Schwachkopf hielt.
Auf seinem Posten an der Tür zuckte Jimmy mit den Schultern und wedelte mit der Hand in der Luft herum. »Frag nicht«, hieß diese Geste. Dann schlüpfte er aus der Tür.
»Haben wir jetzt Überreste gefunden oder nicht?«, wollte ich wissen. »Warum hat mich niemand angerufen?«
»Na ja, wir sind uns, wie gesagt, noch nicht ganz sicher, was es ist«, polterte der Chief. Wie viele hochrangige männliche Beamte wurde er lauter, wenn ihm aufging, dass er einen Fehler gemacht hatte. »Wie ich schon zu diesem Jack gesagt habe, handelt es sich um verbrannte Kleidungsstücke sowie ein paar Knochen und Haare. Genaueres wird noch untersucht. Ich habe dem Arschloch ausdrücklich gesagt, dass diese Informationen streng vertraulich sind.«
»Warum haben Sie mich nicht vorher angerufen und die Sache mit mir abgesprochen?«, wiederholte ich hartnäckig meine Frage. »Man kann Journalisten nicht bitten, derart brisante Informationen für sich zu behalten. Sie haben ihm die Gerüchte bestätigt und ihm damit sozusagen grünes Licht gegeben. Er fühlt sich mit Sicherheit im Recht, weil er nicht Ihren Namen genannt und Sie auch nicht wörtlich zitiert hat. So funktioniert das bei denen. Wenn Sie mich vorher angerufen hätten, hätte ich Ihnen geraten, ihn mit ›Kein Kommentar‹ abzuspeisen. Damit hätten Sie seine Spekulationen erst einmal auf Eis gelegt.«
Er schmollte, wich aber immer noch nicht von seiner Position ab. »Wie ich bereits sagte: Ich dachte, es sei klar, dass es sich nicht um einen offiziellen, zitierbaren Kommentar handelt.«
Der Detective Inspector rollte erneut mit den Augen.
»Also, was hat es mit diesen Knochenfunden auf sich?«, fragte ich und wandte mich demonstrativ an den Detective Inspector. Meine Geduld überraschte mich, genau wie die Tatsache, dass ich so ruhig klang, obwohl eine Stimme in meinem Kopf brüllte: Wer ist gestorben? Wer, um alles in der Welt, ist bei dem Brand gestorben?! »Und ich meine die interne Version, die nicht für die Presse bestimmt ist«, fügte ich hinzu.
»Wir sind uns nicht sicher, Jen«, antwortete der Detective. »Die Spurensicherung ist vor Ort und kümmert sich um die Bergung. Dort herrscht immer noch das reinste Chaos, aber was wir gefunden haben, sieht aus wie ein Stück Decke und einige kleinere Knochen, die Teil eines Brustkorbs oder Finger sein könnten. Der Wohnwagen selbst ist nicht mehr als solcher zu erkennen. Der Rahmen ist komplett in sich zusammengestürzt, und überall kleben geschmolzene Reste der Inneneinrichtung. Das Ding muss gebrannt haben wie Zunder. Wenn du mich fragst, war der ganze Park eine tödliche Falle. Keiner der Hydranten war an eine Wasserleitung angeschlossen. Wir sind uns nicht sicher, ob sie manipuliert waren oder einfach nur vernachlässigt. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir die Lage richtig einschätzen können.«
Kann es sich bei dem Verstorbenen um Justin handeln? , verschaffte sich eine leise, hoffnungsvolle Stimme in meiner linken Gehirnhälfte Gehör. Das hätte mir das Leben unendlich erleichtert, wäre ein regelrechtes Gottesgeschenk gewesen, ein echtes, unwiderlegbares Wunder. Ich hörte keine Stimme in meinem Kopf, die mich bremste und sagte: »Das ist nicht richtig, Jen, man darf niemandem den Tod wünschen.« Nicht einmal die vertraute mahnende Stimme meiner Mutter vernahm ich: »Was
Weitere Kostenlose Bücher