Der Prometheus-Verrat
Atempausen am Ufer. Nach einer halben Stunde wagte Bryson einen Blick zurück und sah, dass der Hubschrauber verschwunden war. Die Verfolger hatten allem Anschein nach
ihre Spur verloren und hofften wahrscheinlich, dass sie tot waren.
Sie erreichten schließlich eine Stelle, an der das Wasser so seicht war, dass sie darin stehen und sich ausruhen konnten. Elena schüttelte die dreckige Brühe aus ihren Haaren und rang hustend nach Luft. Ihr Gesicht war schmutzig, und Bryson musste über ihren Anblick lachen, vor allem aber wohl aus Erleichterung.
»Wenn’s im Außendienst immer so zugeht, bleib ich lieber bei meinem Fach«, sagte die Analystin.
Er schmunzelte und sagte: »Das ist noch gar nichts, verglichen mit einem Bad in den Kanälen von Amsterdam. Die sind drei Meter tief; ein Drittel davon besteht aus Dreck und Schlamm, und darüber liegt eine ebenso dicke Schicht aus weggeworfenen Fahrrädern, rostig und mit scharfen Kanten. Es tut höllisch weh, wenn man sich daran schneidet. Und der Gestank hängt noch mindestens eine Woche an einem. Dagegen war das hier ein wahres Erfrischungsbad. «
Triefend stiegen sie ans Ufer. Ein unangenehm kühler Wind wehte. Elena begann zu zittern. Bryson versuchte sie zu wärmen.
Gut einen Kilometer hinter Camp Chippewah gab es ein Restaurant mit einer Bar. Tropfnass, dreckig und unterkühlt setzten sie sich an den Tresen, bestellten heißen Kaffee und ignorierten die Blicke des Kellners und der übrigen Gäste.
Der auf halber Höhe an der Wand montierte Fernseher zeigte eine Seifenoper, die soeben begonnen hatte. Der Mann hinterm Tresen nahm eine Fernbedienung und schaltete auf den Nachrichtensender CNN um.
Plötzlich füllte der aristokratische Kopf von Richard Lanchester den gesamten Bildschirm. Die Szene, aufgenommen während eines seiner zahlreichen Auftritte im Senat, stammte aus Archivmaterial. Der Kommentar dazu – oder das, was noch davon zu hören war – lautete: »… Quellen zufolge, soll er für den Posten des Generalsekretärs des neuen internationalen Amtes für Sicherheit nominiert werden. Washington würde eine solche Entscheidung begrüßen.
Von Lanchester selbst, der zurzeit Urlaub an der Pazifikküste im Nordwesten macht, war noch keine Stellungnahme zu hören…«
Elena erstarrte. »Sie halten nicht einmal mehr hinterm Berg damit«, flüsterte sie. »Aber was ist da eigentlich passiert; was haben sie getan?«
Zwei Stunden später waren sie in einer gecharterten Privatmaschine auf dem Weg nach Seattle.
An Schlaf war nicht zu denken. Leise und konzentriert trafen sie genaue Absprachen. Sie planten hin und her, legten ihr Vorgehen fest. Und ständig saß ihnen die Furcht im Nacken, dass Harry Dunne mit dem, was er auf seinem Totenbett gesagt hatte, womöglich Recht behalten sollte: dass es für ein Eingreifen viel zu spät sei.
Einunddreißigstes Kapitel
I hre Suite im Hotel Vierjahreszeiten-Olympic in Seattle, das ihnen wegen seiner Lage am Interstate 5 Expressway für eine eventuelle Flucht besonders günstig erschien, hatten sie zu einer Art Operationszentrale umfunktioniert. Überall lagen Karten, Ausdrucke, Kabel und diverses Computerzubehör herum.
Die Anspannung war fast greifbar. Sie hatten das Nervenzentrum der Schattenorganisation Prometheus ausfindig gemacht, den Ort, wo am Abend ein überaus folgenreiches Treffen stattfinden sollte. Was Harry Dunne im Medikamentenrausch darüber von sich gegeben hatte, war durch eine Reihe von Indizien bestätigt worden. Die Autovermietungen der Stadt hatten sämtliche Luxuslimousinen wegen einer »Großveranstaltung« vermietet. Einer der Händler war weniger diskret und konnte nicht widerstehen, den Namen des Veranstalters zu nennen: Gregson Manning. Den ganzen Tag über landeten Privatmaschinen auf dem Flughafen Seattle-Tacoma, deren Passagiere als VIPs empfangen und zum Teil mit Eskorte weitergeführt wurden. Der Sicherheitskordon war außerordentlich eng.
Nach außen hin gut abgeschottet war auch das geheimnisvolle Leben und Wirken von Gregson Manning. Darüber gab es anscheinend nur zwei oder drei sterile Berichte, willfährigen Journalisten zugespielt, in bekannten Zeitschriften veröffentlicht und dann immer wieder recycelt – mit dem Resultat, dass über Manning zwar viel geschrieben wurde, aber nur wenig bekannt war.
Sehr viel ergiebiger waren Brysons und Elenas Recherchen über Mannings berühmtes Anwesen am Ufer eines Sees außerhalb von Seattle. Der Bau dieser Hightech-Festung, die auch
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