Der Prometheus-Verrat
war schon seit Jahren von seinen eigenen Chargen betrieben worden. Sie haben ihren Chef den Wölfen vorgeworfen, um an der Macht bleiben zu können. Übrigens ganz im Sinne des Kreml. Was ist also passiert? Es gab angeblich einen Staatsstreich, der aber in Wirklichkeit keiner war; der Diktator und seine Frau versuchten, in einem Hubschrauber zu fliehen, der aber plötzlich ›Motorprobleme‹ hatte und eine Flucht vereitelte, worauf die beiden in Haft genommen, einem Scheinprozess unterzogen und am Weihnachtstag von einem Exekutionskommando hingerichtet wurden. Dieses ganze Schauspiel war von vorn bis hinten inszeniert. Und wozu? Wie Dominosteine waren die osteuropäischen Satelliten der Sowjetunion umgefallen, einer nach dem anderen. Alte Parteiapparatschiks wurden demokratisch und nabelten sich ab. Moskau wollte Rumänien nicht auch noch verlieren. Aber weil Ceauşescu eine schlechte Presse hatte, musste er gehen. Er war dem Kreml sowieso schon immer ein verdammtes Ärgernis gewesen. Moskau wollte Rumänien und seinen Sicherheitsapparat halten und ein neues Marionettenregime installieren. Und wer sollte die dreckige Arbeit machen? Wer, wenn nicht Sie und Ihre Freunde vom Direktorat? Himmel, Mann, wie viel wollen Sie eigentlich wirklich wissen?«
»Verflucht!«, schrie Bryson. »Unsinn! Sie wollen mich wohl für dumm verkaufen! Diese verdammte GRU, das ist alles lange her. Vielleicht haben Sie und Ihre Kalten Krieger in Langley es noch nicht mitgekriegt, aber der Krieg ist vorbei. «
»Ja«, antwortete Dunne heiser, kaum hörbar. »Aber aus unerfindlichen Gründen ist das Direktorat noch springlebendig und gut dabei.«
Bryson starrte ihn an, unfähig, ein Wort hervorzubringen. Er spürte, wie es in seinem Hirn arbeitete, wie die Gedanken darin zu kreisen begannen, heiß liefen, Funken schlugen.
»Ich will Ihnen gegenüber ganz offen sein, Bryson. Es gab eine Zeit, da hätte ich Sie liebend gern eigenhändig umgebracht. Das war, ehe wir durchschaut haben, wie das Direktorat arbeitet. Nein, ich muss mich korrigieren. Wirklich durchschaut haben wir noch nichts. Davon sind wir tatsächlich noch ein gutes Stück entfernt. Unser Wissen ist nach wie vor bruchstückhaft. Jahrzehntelang gab es nichts als Gerüchte, die so viel Substanz hatten wie Pusteblumen. Mit dem Ende des Kalten Krieges ist es um diese ganze Angelegenheit still geworden. Es ist wie in der alten Parabel vom Blinden und dem Elefanten. Wir können hier einen Rüssel und da einen Schwanz ertasten, reichen aber nicht bis ganz oben heran, so dass uns letztlich verborgen bleibt, mit welchem Tier wir’s eigentlich zu tun haben. Allerdings wissen wir, dass Sie – und wir beobachten Sie seit vielen Jahren – , dass Sie ein irregeführtes Stück Scheiße waren. Deshalb rede ich auch ganz höflich mit Ihnen und verzichte darauf, Ihnen an die Gurgel zu gehen.« Dunne lachte bitter, und aus dem Lachen wurde ein keuchendes Husten – Raucherhusten. »Wir nehmen an, dass sich die Organisation nach dem Ende des Kalten Krieges von ihren alten Auftraggebern gelöst hat und dass ihre Leitung in andere Hände übergegangen ist.«
Bryson merkte auf und fragte: »In wessen Hände?«
Dunne zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Vor rund fünf Jahren schien die Organisation in eine Art Winterschlaf übergegangen zu sein. Sie waren nicht der einzige Agent, der geschasst beziehungsweise ausgeschaltet wurde. Wie Ihnen ist es vielen anderen auch ergangen. Vielleicht hat man den Laden ganz dichtgemacht. Mit Gewissheit lässt sich nichts sagen. Aber wir haben Grund zur Annahme, dass der Betrieb wieder aufgenommen wurde.«
»Was soll das heißen?«
»Das wissen wir selbst nicht. Deshalb haben wir uns an Sie gewandt. Uns ist zu Ohren gekommen, dass Ihre Chefs von früher aus irgendwelchen Gründen Waffen horten.«
»Aus irgendwelchen Gründen«, brummte Bryson vor sich hin.
»Vielleicht wollen sie für Unruhe sorgen. Aber weshalb bloß? Worauf könnten sie abzielen? Keine Ahnung. Und genau das macht mir Sorgen.«
»Interessant«, erwiderte Bryson sarkastisch. »Sie schnappen Gerüchte auf, stellen Mutmaßungen an, führen mir hier Ihre verdammten digitalen Dias vor, tappen tatsächlich aber, wie Sie selbst zugeben, im Dunklen.«
»Deshalb brauchen wir Sie. Mit dem alten Sowjetsystem mag es ja vorbei sein, aber seine Generäle sind noch nicht ausgezählt. Schauen Sie sich zum Beispiel General Buschalow an: Der hat in der russischen Politik anscheinend wieder einiges zu
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