Der rauchblaue Fluss (German Edition)
erwarten, dass ich Entscheidungen davon abhängig mache, was sich möglicherweise in der Zukunft ereignet.«
Zadig sah Bahram in die Augen. »Es stellt sich aber auch noch eine andere Frage, nicht wahr, Bahram-bhai? Nämlich, ob es recht ist, weiterhin mit Opium zu handeln. In der Vergangenheit war nicht klar, ob die Chinesen wirklich dagegen waren. Aber jetzt kann kein Zweifel mehr bestehen.«
Etwas in Zadigs Stimme – ein tadelnder, anklagender Unterton – ließ Bahram innerlich zusammenzucken. Er spürte, dass er in Erregung geriet, und da er keinen Streit mit seinem alten Freund riskieren wollte, zwang er sich, seine Stimme zu senken.
»Wie können Sie so etwas sagen, Zadig Bey? Ein Edikt aus Peking bedeutet noch lange nicht, dass ganz China derselben Meinung ist. Wären die Menschen dagegen, gäbe es keinen Opiumhandel.«
»Vieles auf der Welt existiert, Bahram-bhai, obwohl die Menschen dagegen sind. Diebe, Räuber, Hungersnöte, Feuersbrünste – ist es nicht Aufgabe der Herrschenden, die Menschen vor diesen Unbilden zu schützen?«
»Zadig Bey«, sagte Bahram, »Sie wissen so gut wie ich, dass die Herrscher dieses Landes allesamt durch das Opium reich geworden sind. Die Mandarine könnten den Handel schon morgen unterbinden, wenn sie wollten. Sie haben es bisher nicht getan, weil sie selbst daran verdienen. Niemand ist in der Lage, China das Opium mit Gewalt aufzuzwingen. Schließlich haben wir es nicht mit einem schwachen kleinen Königreich zu tun, das von anderen herumgeschubst wird, sondern mit einem der größten, mächtigsten Länder der Welt. Denken Sie nur daran, wie die Chinesen ständig ihre Nachbarn drangsalieren, sie ›Barbaren‹ nennen und so weiter.«
»Gewiss, Bahram-bhai«, sagte Zadig leise. »Das stimmt natürlich. Doch im Leben sind es nicht nur die Schwachen und Hilflosen, die immer ungerecht behandelt werden. Dass dieses Land stark ist und seine eigenen Ansichten hat, bedeutet ja keineswegs, dass ihm nicht auch Unrecht geschehen kann.«
Bahram seufzte. Ihm wurde klar, dass Kanton sich für ihn jetzt auch in der Hinsicht geändert hatte, dass er nie mehr offen mit Zadig würde sprechen können.
»Lassen Sie uns über andere Dinge reden, Zadig Bey«, sagte er müde. »Sagen Sie mir, wie gehen Ihre Geschäfte?«
Vom Deck der Redruth aus wirkte die Insel wie eine riesige Echse, die ihren gewaltigen Kopf ins Meer schob und deren gebirgiger Rücken in einen geringelten Schwanz auslief.
Die düsteren Felswände und wolkenverhangenen Gipfel wirkten auf Paulette vom ersten Moment an wie ein Magnet. Das war schwer zu erklären, denn es gab auf diesen öden, mit Buschwerk bedeckten Hängen kaum etwas Interessantes zu entdecken. Die Vegetation war spärlich und unansehnlich; die wenigen Bäume, die dort vielleicht einmal gestanden hatten, waren von den Menschen, die in den ärmlichen kleinen, über die Küste der Insel verstreuten Dörfern lebten, gefällt worden. Sie hatten ganze Arbeit geleistet, denn außer ein paar knorrigen Stämmen mit kahlen Ästen war nichts mehr übrig. Auf den Hängen sah man nichts als Geröll und Buschwerk, und manchmal war beides farblich kaum zu unterscheiden, da sich das grüne Laub herbstlich braun verfärbt hatte.
Nördlich der Bucht, in der die Redruth ankerte, lagen mehrere Dörfer, an den Küsten der Halbinsel Kowloon. Zweimal täglich überquerten Bumboote die Meerenge und brachten den Einwohnern, was sie zum Leben brauchten: Hühner, Schweine, Eier, Quitten, Orangen und vielerlei Gemüsesorten. Die Boote wurden überwiegend von Frauen und Kindern gerudert, und abgesehen von dem üblichen Feilschen waren die Dorfbewohner durchaus freundlich. Das änderte sich jedoch, wenn die Fremden an Land kamen: Sie hatten schlechte Erfahrungen mit betrunkenen ausländischen Seeleuten gemacht und begegneten deshalb Landungstrupps mit Misstrauen und sogar unverhohlener Feindseligkeit.
Auf Hongkong hingegen konnten Besucher sicher sein, in Ruhe gelassen zu werden, da die Insel so dünn besiedelt war. Der Küstenabschnitt zum Beispiel, vor dem die Redruth ankerte, war gänzlich unbewohnt. Der nächste Weiler lag ein ganzes Stück entfernt und bestand nur aus einer kleinen Ansammlung windschiefer Hütten inmitten von Reisfeldern. Für Landbewohner gab es dort wenig Interessantes, doch ausländischen Schiffen hatte die Insel etwas Unschätzbares zu bieten: gutes, sauberes Trinkwasser, das die vielen Bäche und Flüsse der gebirgigen Insel im Überfluss
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