Der rote Salon
was los war, doch noch ehe ich an der Tür war, kam einer heraus. Ich spürte seine Handkante dort, wo Sie den Verband bemerkten, und verlor die Besinnung.«
Die, die warten, seindt meist nicht die, die handeln
. Ich blickte auf die Schuhspitzen Göttlers, sah ihn gemeinsam mit Beatrice de Grève und Amadé de Paul alias de la Maupadé die Harfe an die Wand schieben, dabei sehr um die aufgegangene Lade mit dem Gewicht besorgt ...
Und mit einem Mal, wie in einem bewegten Bild, welches entsteht, wenn man einen Bildstreifen rasch durch die Zauberlaterne schiebt, sah ich den Ablauf in der Nacht vom achten auf den neunten Dezember vor mir. Bildlich gesprochen, versteht sich, und ich begann, laut zu denken:
»Der Mann, der Monsieur Arrat in jener Sonntagnacht mit der Kante seiner starken Hand zu Boden streckte, um unerkannt zu entkommen, hatte Schuhe mit breiten Vorderkanten. Er war im Haus, bevor die Beschwörung begann. Er verschwand später durch den Park, ich nehme an, in der ersten Stunde des Montags. Seine Fußspur war eine von zweien, die vom Haus wegliefen, die andere war die Arrats. Er hat Erfahrung im Töten mit der Hand! Und Material für die Schlingen hat er in seiner Werkstatt. Metalldrähte. Sehr einfach und praktikabel. Schneiden gut ein und sind leicht zu transportieren.«
»Erfahrung im Töten mit der Hand? Metalldrähte? Von wem sprechen Sie, Marquise?«, fragte der Polizeichef.
»Was gab es bei Ihnen an Weihnachten?«
»Was meinen Sie?«
»Was gab es zu essen?«
»Wie? Oh, Hasenbraten«, sagte er ganz treu.
Göttler schoss wie ein aufgescheuchter Feldhase nach vorn und rannte, nachdem er den schmächtigen Wöllner, der sich ihm voll Gottvertrauen in den Weg stellte, wie einen Futtersack zur Seite geschleudert hatte, auf die Fenster zu. Er sprang auf die Brüstung und riss einen Flügel auf. Man hörte den Aufschrei der Menge draußen. Seine breiten Schuhspitzen wankten, als ein hinzugesprungener Polizist ihn nach hinten zu zerren versuchte.
Göttler schlug ihn brutal zu Boden, verlor aber dabei das Gleichgewicht und stürzte hinaus ... Doch Jérôme und ein Mann von Distels Truppe packten ihn noch im Augenblick des Abgleitens am Schlafittchen und konnten ihn festhalten. Er schrie wie am Spieß, als sie ihn hereinwuchteten und den neuesten Griff der Berliner Polizei anwendeten. Sie winkelten ihm den rechten Arm rücklings bis zum Anschlag an, nachdem er auch dem zweiten Polizisten einen mächtigen Hieb in die Seite versetzt hatte, der diesen noch wochenlang an diesen Tag erinnern sollte.
Der Aufschrei der Menge, die das Geschehen am Fenster von unten mit angesehen hatte und einen Anschlag auf den König vermutete, schwoll noch einmal an. Der König zeigte sich kurz am Fenster, ebenso die Kronprinzessin und der Kronprinz, woraufhin der Argwohn in untertänigsten
Vivat
-Rufen zerfloss.
Göttler war inzwischen mit gebundenen Händen und Füßen wieder auf seinen Stuhl gesetzt worden. Ich wies den Polizeichef auf die Schuhe hin, die exakt meinen Vermessungen und Beobachtungen im verschneiten Park entsprachen. Sie gehörten zur Spur, die vom Palais wegführte. Auf dem Hinweg war Göttler über die vordere Treppe gekommen.Er hatte vielleicht schon länger im Haus gewartet. Es bot genügend Möglichkeiten des geheimen Aufenthalts. »Wen haben Sie ermordet?«, herrschte Distel den Gefesselten an. »Den Comte? Die Duchesse? Den Goldschmied? Einen, zwei, alle drei? Wer hat Ihnen geholfen, falls Ihnen einer half?«
»Das kriegst du nicht mit glühenden Eisen raus«, stieß Göttler hervor, rot vor Wut.
Der König sah fragend zu mir, und ich fuhr fort:
»Die Krone verkaufen zu wollen, wohl wissend, dass sie das Einzige war, woran das Herz der Duchesse wahrhaft hing, das war des Comtes verhängnisvoller Fehler! Die Krone war der einzige geweihte Schlüssel zur Geistersphäre und somit zu ihrem verstorbenen Mann, ihrem unsterblichen Geliebten! Die Duchesse plante den Tod des Comte.«
»Verkaufen? Die Krone? Unfassbar!«, entrüstete sich Beatrice de Grève. Sie sprang auf, setzte sich wieder.
»Ihn zu ermorden? So dumm war sie nicht ... Wäre sie ... Hatte sie nie ... Hätte ...«, stotterte de la Maupadé.
Auch der Außen- und der Justizminister, die sich zur Untersuchung des Verstecks der Krone erhoben und sich leise beraten hatten, nahmen wieder Platz.
Ich überflog noch einmal den Brief. Es war das deutliche Zeugnis des rundweg verstörten Geistes einer Herzogin, die eine Zeitlang so getan hatte,
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