Der Ruf des Abendvogels Roman
taktvoll das Thema wechselnd.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Tara seufzend. »Beim Untergang der Emerald Star habe ich alles verloren, was ich besaß. Ich habe mir später – ausgerechnet in Mohomet Basheers Laden – einige Sachen gekauft, aber ich besitze nichts, das auch nur annähernd mit Maddys Kleid konkurrieren könnte.«
»Vielleicht habe ich die Lösung für dein Problem.«
»Oh! Hast du irgendetwas, das du mir leihen könntest?«
»Nein, das nicht. Aber als ich von dem Schiffsunglück erfuhr, habe ich als Erstes ein paar neue Kleider für dich gekauft. Ich war nicht einmal sicher, ob du überlebt hattest, denn die Berichte widersprachen sich, aber es weckte irgendwie meinen Optimismus ...«
Tara starrte ihre Mutter freudig überrascht an, denn Elsa hatte schon immer einen ganz exquisiten Geschmack besessen.
»Ich habe nur auf den richtigen Moment gewartet, um sie dir zu geben.«
»Oh Mutter, jetzt ist genau der richtige Moment dafür!«
Zufrieden lächelnd stellte Elsa fest: »Eins davon ist wie für diesen Abend gemacht!«
Gegen elf Uhr an diesem Abend waren schon einige Flaschen Wein geleert worden. Die Party fand in einem Salon im ersten Stock statt, der durch das Öffnen einer Zwischentür in einen Ballsaal verwandelt werden konnte. Darin standen ein Klavier,das während der letzten Jahre nur selten benutzt worden war, und ein riesiger Büfetttisch. Die Balkontüren standen offen, sodass immer ein kühler Luftzug durch den großen Raum strich.
Lottie und Victoria wechselten sich beim Klavierspielen ab und sangen, so laut sie konnten. Wenn nicht gesungen wurde, nahm das Gespräch bisweilen einen etwas gewagten Verlauf, doch Tara hatte noch nie in ihrem Leben so viel gelacht. Sie bemerkte, dass sogar ihre Mutter sich insgeheim sehr amüsierte, besonders als die Besucherinnen von ehemaligen Kunden und deren seltsamen Angewohnheiten und Manien erzählten. Sie nannten allerdings keine Namen und stellten es so dar, als seien all diese Männer ihre Kunden gewesen, bevor sie nach Wombat Creek gekommen waren. Einer hatte eine Vorliebe dafür gehabt, Frauendessous zu tragen, besonders Lotties Büstenhalter. Ein anderer hatte laut Belle darauf bestanden, die Perücke seiner toten Mutter überzuziehen, wenn er mit ihr im Bett war. Victoria, Tara und Elsa waren zwar ein wenig schockiert, doch auch sie mussten lachen, als Belle beschrieb, dass er mit der Perücke ausgesehen habe wie eine hässliche Großmutter.
Riordan tanzte mit allen Frauen, aber Maddy brachte es fertig, ihn mit Beschlag zu belegen. Bluey und Charlie saßen draußen auf dem Balkon und erzählten sich Geschichten. Sie genossen die Aussicht und die kühle Brise auf der Höhe der Baumwipfel fast ebenso sehr wie Victorias Wein. Karl und Jack spielten in einem der angrenzenden Räume Karten und stibitzten hier und da einen Schluck Wein, wenn gerade niemand hinsah, bis sie irgendwann einschliefen. Rex hatte nach dem Ausliefern der Post lange geschwankt, ob er mitfeiern sollte oder nicht, sich jedoch schließlich von Victoria verabschiedet und war lange vor Beginn der Party in die Stadt zurückgefahren. Victoria verstand, dass er die Leute dort nicht verärgern wollte – schließlich musste er mit ihnen leben.
Als Tadd gegen neun Uhr zur Farm zurückkam, hörte er Gelächter und blickte zu dem erleuchteten Balkon hinauf. Er fragtesich, wer Victorias Gäste sein mochten, denn das Lachen kam ihm seltsam bekannt vor. Während er in der Dunkelheit stand und das Haus beobachtete, sah er Riordan mit einer Frau auf den Balkon hinaustreten, und ihm blieb vor Staunen der Mund offen stehen, als er Maddy erkannte.
Tadd war den größten Teil des Tages in der Stadt gewesen und hatte im Hotel seinen Kummer ertränkt. Lottie und die Mädchen waren das Hauptgesprächsthema gewesen, doch er hätte niemals damit gerechnet, dass sie auf der Farm waren. Die Männer wussten, dass sie die Stadt verlassen hatten, und vermuteten, sie hätten vielleicht den Zug nach Adelaide genommen – doch niemand hatte sie tatsächlich einsteigen sehen. Alle redeten sich ein, dass die drei Frauen bald wiederkommen würden, da sie das Geld sicherlich dringend brauchten.
Tadd schüttelte den Kopf. »Na wartet – wenn sie das erfahren!«, murmelte er. Dann beobachtete er das Treiben noch eine Weile und ging wütend zu seinem Cottage hinüber. Er hatte sich geschworen, weder Victoria noch ihren Gästen in irgendeiner Weise zu helfen oder ihre Gesellschaft zu suchen, doch es
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