Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
Vom Netzwerk:
Augen, und sie meinte fast die Gedanken der Älteren lesen zu können. Die Frau hatte ein erfülltes, langes Leben hinter sich, und ihre Angst und ihr Mitgefühl galten Tara und den O’Sullivans, besonders aber den Kindern, die erst am Anfang ihres Leben standen – denn sie hatte begriffen, dass für einige an Bord die Lebensreise an dieser Stelle zu Ende gehen würde.
    Beim Anblick dieser schmalen, im Angesicht des Todes so mutigen kleinen Frau wurde Tara ganz ruhig, und ihre eigene Angst verschwand. Sie war noch nicht bereit zu sterben, und sie würde auch nicht zulassen, dass Jack und Hannah etwas geschah. Plötzlich war sie entschlossen, für sich und die Menschen um sich herum zu kämpfen.
    Sie reichte ihre Schwimmweste an die alte Frau weiter. »Ziehen Sie sie bitte an«, sagte sie und fügte mit überzeugendem Lächeln hinzu: »Wir schaffen es schon – Sie werden sehen!«
    Die alte Dame nickte in ruhiger Ergebenheit vor dem, was kommen mochte.
    Die O’Sullivans saßen schon zusammen in einem Rettungsboot, das bereit war, zu Wasser gelassen zu werden, als die Besatzung feststellte, dass die Taue kürzlich gestrichen worden waren und nicht durch die Winden laufen würden. Die Passagiere mussten wieder aussteigen. In diesem Moment stellten die Besatzungsmitglieder bei Taras Boot fest, dass sie noch Platz für zwei Kinder und einen Erwachsenen hätten. Sie müssten aber sofort einsteigen. Michael und Maureen trafen gleichzeitig eine endgültige Entscheidung: Keiner wollte den anderen verlassen, aber beide bestanden darauf, dass die Kinder diese vielleicht letzte Chanceauf Rettung bekommen sollten. Das überraschte Tara nicht im Mindesten, doch all ihre Befürchtungen waren mit einem Mal wieder da. Sie spürte mit überwältigender Klarheit, dass sie die beiden nie wiedersehen würde.
    Natürlich protestierten Jack und Hannah heftig dagegen, ihre Eltern zu verlassen, als sie eilig ins Rettungsboot gesetzt wurden, aber Tara versicherte ihnen, dass sie sich um sie kümmern würde.
    »Bitte, Maureen, komm doch mit uns!«, bat sie, als die Crew begann, das Boot Nummer dreizehn hinabzulassen.
    Maureen schüttelte den Kopf und sah ihren Mann mit einem Blick an, in dem ihre ganze Liebe stand. Er drängte sie zu gehen, doch sie weigerte sich.
    »Dann nimm du meinen Platz, Michael – ich warte auf ein anders Boot!«, rief Tara und stand auf.
    »Nein«, gab Michael fest zurück. »Mach dir keine Sorgen – wir sehen uns bald!« Die Crew befahl Tara, sich wieder hinzusetzen.
    »Passt auf euch auf!«, rief Maureen, die sich über die Reling lehnte und ihren Kindern Küsschen zuwarf, während ihr Boot sich weiter und weiter von ihnen entfernte. »Ich liebe euch!«
    »Wir warten an Land auf euch!«, rief Tara scheinbar zuversichtlich zurück, während eine kalte Hand nach ihrem Herzen griff.
    »Bei Tara seid ihr in guten Händen!«, redete Michael seinen Kindern gut zu, deren unschuldige Gesichter ihr Entsetzen über das Schlimmste spiegelten, was sie sich vorstellen konnten: von ihren Eltern getrennt zu werden.
    Michaels flehender Blick suchte Taras Augen, als sie sich immer weiter von ihm entfernten, und sie verstand auch ohne Worte: Er vertraute ihr seine Kinder an und baute darauf, dass sie sie in Sicherheit brachte. Falls er und Maureen es nicht schaffen würden, übergab er sie ihrer Obhut. Tara wurde die Kehle eng, und sie war unfähig, etwas zu sagen. Dies war ein Moment, der vielleicht ihr ganzes Leben verändern würde – doch zum Nachdenken blieb jetzt keine Zeit.
    Was die hilflosen Passagiere nicht ahnten: Das Feuer breitete sich so rasend schnell auf dem Schiff aus, dass der Funker keine Möglichkeit mehr hatte, einen Hilferuf abzusetzen. Verzweifelt gab der Kapitän Befehl, SOS zu morsen, doch die Matrosen mussten die Brücke schon nach wenigen Minuten wegen der starken Hitzeentwicklung verlassen. Signalraketen wurden abgefeuert, und der Kapitän gab Befehl, drei Ballasttanks leer zu pumpen, wodurch das Schiff nun noch mehr Schlagseite bekam.
    An Land war der Feuerschein des brennenden Schiffes gesehen worden, und man schickte Boote zur Rettung der Passagiere und der Besatzung der Emerald Star aus. Ein Handelsschiff, die Octavia , hatte den roten Schein am Himmel ebenfalls bemerkt, und das Schiff lief auf vollen Touren der Unglücksstelle entgegen.
    Es schien eine Ewigkeit bis zur Wasseroberfläche. Tara war dankbar, in dem Boot zu sitzen, das sie und die Kinder in Sicherheit bringen würde. Einige Passagiere

Weitere Kostenlose Bücher