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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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etwas einfallen wollte, womit sie sie hätte trösten können. Irgendwann am Nachmittag brachte man ihnen eine Mahlzeit aus kaltem Lammfleisch und Salat, in dem sie ohne Appetit herumstocherten, auf das Zimmer, bevor sie sich wieder hinlegten. Sie schlossen die Augen und bemühten sich vergeblich, die Katastrophe aus ihren Gedanken zu verbannen.
    Früh am folgenden Morgen brachte man alle Überlebenden des Schiffsuntergangs ins Zollamt an der Kreuzung von Commercial Road und North Parade im Stadtzentrum von Port Adelaide. Auf dem Bürgersteig vor dem Gebäude drängten sich Schaulustige, die vom Schicksal der Emerald Star gehört hatten. In den Lokalzeitungen waren bereits Berichte darüber erschienen, und Journalisten waren hier in der Hoffnung erschienen, Augenzeugen der Tragödie befragen zu können.
    Den Verunglückten war dieses allgemeine Interesse allerdings sehr unangenehm. Sie standen alle noch unter Schock und schämten sich außerdem ihrer dürftigen Bekleidung. Im Vergleich zu den braun gebrannten Schaulustigen, die wegen der brennenden Sonne breitkrempige Hüte trugen, wirkten sie wie bleiche Gespenster. Einige Australier hatten sogar fast so dunkle Haut wie die Einheimischen, die ›Aborigines‹ genannt wurden. Eine kleine Gruppe dieser Aborigines hatte sich ebenfalls versammelt und betrachtete die Ankömmlinge mit undurchdringlichen Mienen. Die Passagiere ihrerseits, die noch niemals zuvor Eingeborenen begegnet waren, starrten sie neugierig an, fasziniert von ihrem krausen Haar und den breiten Nasen.
    Während die Vertreter der Schifffahrtsgesellschaft über die Gründe für die Katastrophe spekulierten, saß Tara mit Sorrel Windspear, der netten alten Dame vom Schiff, im hinteren Teil des großen Raumes. Sie war die Liste der Überlebenden in den Krankenhäusern durchgegangen – aber die Namen von Michael und Maureen hatte sie nicht gefunden. Jack schien sich mit dem Tod seiner Eltern ruhig abgefunden zu haben. Tara wünschte sich allerdings, dass er ein wenig mehr Gefühle zeigen würde. Seineinnere Zurückgezogenheit war beunruhigend, und sie wartete ständig auf einen unausweichlich scheinenden Ausbruch. Hannah begriff noch gar nichts, sondern weinte fast ununterbrochen und fragte ständig nach ihrer Mama.
    Schließlich wurden beide Kinder von Müdigkeit überwältigt. Hannah schlief quer über Taras Schoß liegend, während Jack sich neben sie auf die Bank legte. Tara strich mit einer Hand sanft über Hannahs weiche, goldene Locken, während sie mit der anderen Jacks Rücken streichelte. Er hatte rotes Haar, wie sein Vater, und auf seiner Haut hatte die intensivere Sonneneinstrahlung im Lauf der letzten Wochen braune Sommersprossen erscheinen lassen.
    Die ganze Nacht hindurch hatte Tara versucht, die Kinder zu trösten, doch natürlich konnte sie ihnen die Eltern, die sie verloren hatten, nicht ersetzen.
    Die Abgesandten der Schifffahrtsgesellschaft sprachen lange und ausführlich über das Unglück und seine Ursachen. Angeblich sei das Schiff, mit über zweihundert Tonnen Ladung an Bord vollkommen überladen gewesen und ihnen war völlig unverständlich, warum kein SOS-Signal gefunkt worden war. Weiterhin stellten sie fest, dass durch die Öffnung der Ladeklappe Wasser ins Schiff eingedrungen sei, was den Untergang des Schiffes beschleunigt hätte. Warum konnten sie denn nicht begreifen, dass die Mannschaft die Ladung hatte hinausschaffen wollen, um genau das Gegenteil zu erreichen. Die Ursache des Brandes war nicht bekannt, doch die Besatzungsmitglieder hatten ausgesagt, es habe nicht genügend Sandsäcke gegeben, und der Wasserdruck auf den Schläuchen sei zu schwach gewesen. Hätte nicht einer der Passagiere das Feuer frühzeitig entdeckt, wären noch viel mehr Menschen ums Leben gekommen.
    Tara und Sorrel lauschten wie alle anderen den vielen Worten, Erklärungen und Entschuldigungen, bis sie irgendwann genug gehört hatten. Tara fand, dass es keinen Sinn hatte, dem ebenfalls verunglückten Kapitän alle Schuld zu geben. Die fünfzig toten Passagiere und Besatzungsmitglieder würden dadurch nichtwieder lebendig werden. Zwar hatten seine Fehlentscheidungen sicher zum Untergang des Schiffes beigetragen, doch diese Erkenntnis brachte die Eltern der beiden Kinder nicht zurück.
    »Das Unglück wird auf jeden Fall gründlich untersucht«, erklärte ein Sprecher der Reederei, »doch es scheint festzustehen, dass der eigentliche Grund für das Unglück menschliches Versagen ist.«
    Zu sehr hatte

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