Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
konnte er schlichtweg nicht eingehen.
Aus seiner Schlüsselsammlung wählte Parrish drei oder vier Schlüssel aus, die ihm am ehesten zu passen schienen. Bereits mit dem zweiten öffnete er die Tür. Noch einmal hielt er inne, um sich klarzumachen, was er hier tat. Jetzt ging es nicht mehr um Einbruchdiebstahl, sondern um etwas wesentlich Ernsteres. Wenn er den Wagen des Kerls durchsuchte – unabhängig davon, was er fand –, machte er sich eines schweren Vergehens schuldig. Und wenn er tatsächlich etwas entdeckte, waren ihm die Hände gebunden. Beweismittel, die auf solche Weise beschafft wurden, waren für jede weitere Ermittlung verloren. Sie durften von keinem Polizeirevier und keinem Gericht verwendet werden. Ihn selbst würde man mit aller Härte des Systems zur Verantwortung ziehen. Das hätte er am Ende davon. Doch auch wenn ihm völlig klar war, dass er nichts würde verwenden können, ging es ihm hier letztlich um etwas anderes. Ihm war einfach daran gelegen, eine Bestätigung für seinen Verdacht gegen McKee zu finden. Er wollte , dass McKee der Täter war. Er wollte es unbedingt .
Ein Geräusch. War das ein Geräusch gewesen? Irgendetwas draußen?
Parrishs Herzschlag setzte aus. Er hörte sich schlucken. Er konnte den Blick nicht von dem winzigen Lichtstreifen zwischen dem Boden und der Unterkante des Garagentors abwenden. Würde es von draußen so aussehen, als wäre das Geragentor nicht ordentlich geschlossen? Würde die Person, die dort draußen unterwegs war, etwas bemerken? Gab es tagsüber einen Sicherheitsdienst, irgendeinen Typen, der fünfzig Dollar in der Woche dafür bekam, hier gelegentlich vorbeizufahren und nachzuschauen, ob alles sicher verschlossen war?
Parrish versuchte, sich zu erinnern, ob das Tor beim Öffnen ein Geräusch gemacht hatte. Hatte es gequietscht? Würde es Lärm machen, wenn er versuchte, es richtig zu schließen? Er unternahm nichts. Er zog sich zurück, kauerte sich hinter die Stoßstange und beobachtete den Lichtstreifen am Boden. Er wartete darauf, dass Schatten von Füßen auftauchten. Er versuchte, leise zu atmen und sämtliche Gedanken aus seinem Gehirn zu verbannen. Was würde er sagen? Er könnte sich einfach an dem Kerl vorbeidrängen, wie ein Weltmeister laufen und hoffen, dass man ihn nicht schnappte. Oder seine Polizeimarke vorzeigen, den Mann auf dem falschen Fuß erwischen, ihm etwas von einer Undercover-Operation erzählen und ihn zur Verschwiegenheit verpflichten. Sicherheitsleute – verdammt, das waren doch alles Möchtegern-Cops. Es würde funktionieren. Sicher würde es das …
Parrish zwang seine innere Stimme zur Ruhe. Niemand würde ihn schnappen. Das war kein Sicherheitsmann. Nur irgendjemand, der hier herumlief, weil er die Orientierung verloren hatte. Er würde merken, dass er in einer Sackgasse gelandet war, sich umdrehen und verschwinden. Genau das würde passieren.
Parrish wartete.
Erst schien die Welt völlig geräuschlos geworden zu sein, doch plötzlich hörte er abermals Schritte. Jemand ging über den Schotter. Wo genau befand sich der Schotter? Nur am Eingang zum Garagenkomplex oder auf dem ganzen Stück bis hierher? Er konnte sich nicht erinnern. Er schloss die Augen, ballte die Fäuste und fragte sich, wie viel er später trinken müsste, um diese Gefühle abzuschütteln.
Dann hörte er nichts mehr.
Er hörte nicht einmal, wie die Schritte sich entfernten. Sie waren einfach vom einen auf den anderen Moment verschwunden. Man konnte eigentlich nicht einmal sagen, dass er die Stille hörte , doch er spürte, dass da draußen niemand mehr war.
Parrish kroch hinter der Stoßstange hervor. Er stand auf und beugte die Knie. Jetzt erst bemerkte er, wie er schwitzte, und zog die Jacke aus. Er trat ans Garagentor und blieb dort mindestens zwei Minuten lang stehen. Er hörte nichts außer den in einiger Entfernung auf der Straße vorbeifahrenden Autos.
Schließlich riss er sich vom Garagentor los, stieg ins Auto und machte sich an die Untersuchung des Handschuhfachs und der Vertiefung zwischen den Sitzen. Er suchte unter den Sitzen und unter der Matte im Fußraum. Er stieg hinten ein, schob die Sitze nach vorn, durchsuchte die Stapel von Straßenkarten in den Fächern der hinteren Türen. Als er fertig war, stieg er aus und nahm sich den Kofferraum vor.
Dort entdeckte er die Akten. Eine Ablagebox aus Metall, um genauer zu sein. Sie war groß genug für Standardseiten im Legal-Format und rund fünf Zentimeter hoch. Und verschlossen.
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