Der Schwarze Mandarin
Herrscher dieser einmaligen Stadt: die Chefs der Triaden.
Ehrfurchtsvoll werden sie von den Mitgliedern ›Daih-Loh‹ genannt, die ›Großen Brüder‹, denn die Geheimgesellschaft ist eine große ›Familie‹, und jeder ist des anderen Bruder, der beschützt wird, auch wenn es das eigene Leben kostet. Die Triaden sind die bestorganisierte Verbrechervereinigung der Welt … ein Treueschwur vor dem ›Hohen Rat‹ – damit hat man sein Leben in die Hand der Bruderschaft gegeben.
*
Rathenow ging, nur eine Reisetasche in der Hand – das Gepäck war bis München durchgecheckt –, durch die Paßkontrolle und Zollsperre hinaus in die große Empfangshalle. Den Weg zur Senator-Lounge der L UFTHANSA kannte er jetzt, aber er blieb stehen, sah sich nach allen Seiten um und stellte sich an eine Säule. Um ihn herum wimmelte es von hin und her hastenden Passagieren, auf den Anzeigetafeln für Abflug- und Ankunftszeiten rasselten die Schriftzeilen, in den Duty-free-Geschäften drängten sich vor allem Europäer vor den Parfüm- und Alkoholtheken.
Ich werde erwartet, dachte Rathenow. Von einem Triadenmitglied. Verdammt! Bursche, wo bist du? Ist da etwas schiefgelaufen? In fünf Minuten gehe ich weiter zur Lounge. Aber dann blieb er doch stehen, aus Angst, Kewei Tuo könnte Liyun für seine Ungeduld und seinen passiven Widerstand bestrafen. Die furchtbaren Fotos hatten sich in sein Gedächtnis eingegraben.
Als ein mittelgroßer Chinese in einem blauen Anzug auf ihn zutrat, atmete er auf.
»Endlich!« sagte er auf englisch. »Ich denke, Pünktlichkeit ist bei euch eine der Grundtugenden?«
»Ich war schon länger da, ich habe Sie nur beobachtet.« Der Chinese trug einen Beutel in der Hand, den er an seine Seite preßte, als wolle man ihm das Stück entreißen.
»Wozu beobachten?«
»Sie hätten die Polizei mitbringen können.« Er sah sich schnell um. Nirgendwo war eine Uniform zu sehen, und die Zivilisten waren ohne Ausnahme unruhige Flugpassagiere. »Man muß vorsichtig sein.«
»Hält man mich für so dumm, Frau Wang in Schwierigkeiten zu bringen?«
»Ich kenne keine Frau Wang, Sir. Ich habe nur den Auftrag, das hier zu übergeben.« Er hielt den Beutel hoch und gab ihn Rathenow. »Alles andere wissen Sie.«
»Was ist da drin?«
»Sehen Sie nach, und packen Sie es um in Ihre Reisetasche. Ein großes Glas Pulverkaffee und eine kleinere Dose mit Milchpulver.«
Rathenow schüttelte den Kopf. »Das Ganze ist total verrückt.«
»Es ist normal, Sir. Viele ausländische Touristen nehmen ein Schraubglas mit unserem gemahlenen Kaffee mit und eine Dose Trockenmilch. Warum? Das weiß ich auch nicht. Die Sicherheitsbehörden schrauben bei jedem Chinesen, der Trockenmilch im Gepäck hat, die Dose auf, feuchten den Zeigefinger an, stecken ihn hinein und probieren, ob es wirklich Milch ist. Es könnte ja Heroin sein. Bei Ihnen, als Ausländer, untersucht man das Milchpulver nicht.«
»Das heißt, daß ich jetzt statt Milch wirklich Heroin transportiere!« Dr. Hans Rathenow als Rauschgiftschmuggler – das würde Schlagzeilen geben, wenn man mich erwischte. »Klug ausgedacht.«
»Sie irren, Sir.« Der Chinese grinste kameradschaftlich. »Es ist Milchpulver.«
»Kein Heroin?«
»Nein … nicht einmal eine Mischung. Ein völlig reines Pulver.«
»Ich verstehe überhaupt nichts mehr.« Rathenow verstaute mit zitternden Händen Pulverkaffee und Milchpulver in seiner Reisetasche und zog den Reißverschluß zu. »Wo ist hier der Trick?«
»Kein Trick, Sir. Kosten Sie doch das Milchpulver selbst.«
»Danke. Sagen Sie Ihrem Chef, daß sein dämlicher Nescafé und die Milch gut in München ankommen werden. Sonst noch etwas?«
»Nein, Sir. Wir wünschen Ihnen einen guten Flug. Wir hoffen, daß China einen bleibenden Eindruck auf Sie gemacht hat.«
»Darauf können Sie sich verlassen. Diese Reise werde ich nie vergessen. Vor allem nicht den gestrigen Abend.«
»Darüber bin ich nicht unterrichtet, Sir.« Der Chinese verbeugte sich höflich. »Mögen Sie lange leben …«
Er entfernte sich schnell und tauchte im Gewühl der Menschen unter.
Rathenow sah sich um, ob man die Überreichung des Beutels beobachtet hatte. Es war offenbar übertriebene Vorsicht, keiner kümmerte sich um den anderen, jeder hatte ein Ziel, dem er zustrebte. Nur eine indische Familie saß auf den Kunststoffstühlen und wartete darauf, abgeholt zu werden. Der Autoverkehr auf Hongkongs Straßen ist die Hölle, vor allem um die Mittagszeit.
Rathenow nahm
Weitere Kostenlose Bücher