Der Schwarze Mandarin
seine Reisetasche auf, ging in Richtung L UFTHANSA -Senator-Lounge, warf den Jutebeutel in einen Abfalleimer und klingelte an der Loungetür. Die hübsche Stewardeß öffnete.
»Guten Tag«, sagte sie und lächelte ihn an. »Sie waren schon einmal hier, nicht wahr? Das muß ungefähr drei Wochen her sein …«
»Sie erkennen mich wieder? Haben Sie ein gutes Gedächtnis!«
»Ihre – Verzeihung – weißen Haare und Ihre blauen Augen erkenne ich wieder.« Die Stewardeß wurde ein wenig rot. Aber dann siegte wieder das Geschäftliche. »Kann ich Ihr Ticket sehen?« Rathenow gab es ihr; sie warf einen Blick darauf und reichte es zurück. »Nach Frankfurt? Sie haben leider ein paar Stunden Aufenthalt.«
»Ich weiß. Aber die kriegen wir schon rum.«
»Sie könnten noch in die Stadt fahren und Einkäufe machen.«
»Danke. Ich bin jetzt das drittemal in Hongkong. Hier bei Ihnen ist die Luft besser als da draußen. Hier ist sie gefiltert.«
»Darf ich Sie etwas fragen?«
»Alles, was Sie auf dem Herzen haben.«
»Rathenow … Sind Sie verwandt mit dem Reiseschriftsteller Rathenow?«
»So kann man das nennen … ich bin es selbst.«
»Nein! Das gibt es doch nicht! Ich habe ›Das Geheimnis der philippinischen Wunderheiler‹ von Ihnen gelesen!« Sie wurde plötzlich unsicher und verlegen. In der Senator-Lounge hatte sie viele bekannte Persönlichkeiten erlebt, die meistens unnahbar und zugeknöpft, aber Rathenow war anders, irgendwie freier, nicht so wie die übrige Prominenz. »Was … was darf ich Ihnen bringen?«
»Einen großen Wodka mit Orangensaft, die Frankfurter Allgemeine und die BILD-Zeitung.«
»Das ist eine sehr seltene Kombination.«
»Die Frankfurter lese ich für die Bildung, die BILD für die schnelle Information und aktuelle Unterhaltung, und Wodka mit Orangensaft gibt dem Ganzen den richtigen Schwung.«
Die schöne Stewardeß lachte. »Sie sind ein fröhlicher Mensch!« sagte sie.
»Mag sein.« Rathenow setzte sich in einen der tiefen Sessel und stellte die Reisetasche neben sich. Wenn du wüßtest, meine kleine Blonde, wen du wirklich vor dir hast! Nicht mehr den seriösen Anthropologen und Ethnologen, sondern einen Kurier der Triaden, einen Gefangenen von 14K, die von sich selbst sagen, daß Gnadenlosigkeit das Fundament ihrer Bruderschaft ist. Wie komme ich aus ihren Krallen wieder heraus, ohne daß sie Liyun dafür bestrafen? Gibt es überhaupt noch ein Entkommen? Ist mit dem heutigen Tag der alte Rathenow gestorben und nur ein Schatten von ihm geblieben? Ein willenloses Wesen, das alles tun wird, was man ihm befiehlt? Denn immer werden sie sagen: Sollen wir dir einen Finger von Liyun schicken? Oder ein Ohr? Oder die Nasenspitze? Oder willst du ein Foto sehen, auf dem sie mit abgeschnittener Brust daliegt, vergewaltigt und mehr tot als lebendig? Und immer mußt du dir dann sagen: Schuld hast du! Du allein! Du hast den Befehlen nicht gehorcht, obgleich du wußtest, was geschehen wird. Du hast Liyun geopfert, um selbst frei zu sein. Frei? Gab es denn das noch? Die Triaden werden dich, den Verräter, um die ganze Welt jagen, bis sie dich in Stücke hacken. Kewei Tuo hat es deutlich genug gesagt: Wir sind überall, wo Chinesen sind … und Chinesen sind überall! Es gibt kein Entrinnen! Nur: Was wollen sie von mir? Welche Pläne haben sie mit mir? Ein Glas Pulverkaffee und eine Dose Trockenmilch von Hongkong nach München zu bringen – das ist doch lächerlich! Was steckt dahinter?
Er blickte wieder auf seine Reisetasche neben dem Sessel. Gib ihr einen Tritt, Junge! Denk, sie sei Kewei, und dann tritt mit aller Kraft zu. Aber was brachte das außer einem entsetzten Blick der kleinen Blonden, die jetzt den Wodka mixte?
Er trank in den Stunden der Wartezeit noch drei Wodka mit Orangensaft und spürte sie im Hinterkopf, als er über den schwenkbaren Laufgang die L UFTHANSA -Maschine betrat. Sein Platz war reserviert, zweite Reihe in First Class, Fensterplatz, und die Stewardessen brachten sofort ein Glas Champagner, und auch das trank er, als käme er halbverdurstet aus der Wüste. Die Reisetasche stellte er unter den Sitz an seine Füße.
Vierzehn Stunden Flug. Bis jetzt war alles glattgegangen. Die Sicherheitskontrolle in Hongkong hatte seine Reisetasche durchleuchtet und nichts beanstandet. Nescafé und Milchpulver, das sieht man tausendmal bei den Touristen. Okay, Sir. Guten Flug. In Frankfurt würde es nicht anders sein, und in München kontrollierte sowieso niemand mehr, es war ja ein
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