Der Schwarze Phoenix
der anderen und blieb beim Anblick seines Sohnes wie angewurzelt stehen. Seine Haare waren immer noch grau, sein Gesicht war immer noch von Sorgenfalten durchzogen, aber er schien etwas weniger abgehärmt und eingefallen, als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen war. Sie standen sich eine Weile gegenüber und sahen sich an, bevor sich ein breites Grinsen auf Alains Gesicht ausbreitete und Jonathan wusste, dass alles gut werden würde.
Ihm war nicht aufgefallen, wie hungrig er war. Plötzlich war sein Teller zu klein und er konnte nicht genügend Essen darauf häufen. Von der anderen Seite des Tisches beobachteten Alain und Miss Elwood, wie Jonathan mit seiner Gabel auf einen Berg Pommes losging.
»Ich bin froh, dass Elias sich um dich gekümmert hat«, sagte sein Vater. »Wie geht es ihm denn?«
Jonathan dachte einen Moment nach.
»Gut. Er ist hitzköpfig, brutal und grob.«
»Dann ist ja alles beim Alten«, sagte Alain lachend.
»Es ist komisch, aber ich kann mir euch beide beim besten Willen nicht als Freunde vorstellen.«
»Nun, das ist ziemlich lange her. Seitdem hat sich viel verändert.«
»Kann ich mir denken.« Jonathan machte eine Pause, während er schluckte, und nahm noch einen Schluck Cola. »Du siehst inzwischen besser aus. Ich war mir nicht sicher, wie … du weißt schon … wie du sein würdest.«
»Oh, danke.« Sein Vater hatte einen freudig überraschten Unterton in der Stimme. »Ich habe hin und wieder noch einen schlechten Tag, aber ich fühle mich viel besser. Ich könnte zwar noch nicht beim London-Marathon mitlaufen, aber man weiß ja nie.«
»Jetzt, wo du wieder da bist, bleibst du doch hoffentlich eine Weile hier?«, unterbrach ihn Miss Elwood ängstlich. »Es gibt keinen Grund, weshalb du dorthin zurückgehen solltest.«
Jonathan legte seine Gabel und sein Messer nieder.
»Ich fürchte, nein. Ich kann nur eine Nacht bleiben. Ich bin aus einem bestimmten Grund zurückgekommen.«
Sein Vater sah ihn verständnisvoll an.
»Theresa?«
Jonathan nickte.
»Verstehe. Iss auf, dann gehen wir in mein Arbeitszimmer und reden.«
Nachdem sie die Küche aufgeräumt hatten, gingen sie nach oben und ließen Miss Elwood vor dem Fernseher zurück. Jonathan war erleichtert zu sehen, dass das Arbeitszimmer seines Vaters, das früher mehr einer Gefängniszelle geglichen hatte, nicht verschlossen war und die Tür offen stand. Die schweren Fensterläden, die einst das Sonnenlicht daran gehindert hatten, denRaum zu erleuchten, waren entfernt, und die dumpfe Atmosphäre war gewichen. Im sanften Licht der Schreibtischlampe wirkte das Zimmer sogar fast gemütlich.
Alain bedeutete Jonathan, auf dem Stuhl Platz zu nehmen, während er sich auf die Ecke der Tischplatte setzte.
»Also. Was ist los, mein Sohn?«
Die Geschichte sprudelte in einem ungeordneten Schwall nur so aus ihm heraus. Etliche Male musste Jonathan weiter ausholen, um wichtige Details einzufügen. Alain hörte ihm aufmerksam und mit ernstem Blick zu. Als sein Sohn am Ende angelangt war, dachte Alain so lange nach, dass Jonathan schon befürchtete, sein Vater sei wieder in seine alte Lethargie verfallen. Dann räusperte dieser sich.
»Mehr als alles andere auf der Welt wollte ich nach Darkside zurückkehren«, sagte er mit heiserer Stimme. »Manchmal hat es mich fast in den Wahnsinn getrieben. Alles lief so gut. Wir waren verheiratet, du warst gerade geboren worden, und wir hatten uns endgültig entschieden, für immer in Darkside zu leben. Theresa war durch und durch Darksiderin und das Durchqueren des Übergangs bekam ihr gar nicht gut. Sie konnte immer nur wenige Tage in Lightside verbringen, dann wurde sie krank, wohingegen ich in Darkside ganz gut zurechtkam. Es war nicht immer leicht, aber ich hatte sie und dich. Ich weiß, das mag sich für dich verrückt anhören, aber wir waren glücklich dort. Theresa liebte ihren Job beim ›Kurier‹ und ich hatte eine Arbeitsstellebei einem Uhrmacher gefunden. Darkside war so kraftvoll, so lebendig, dass einem der Rest von London dagegen trostlos erschien. Also erfanden wir eine Geschichte, dass wir nach Südamerika gehen würden, und kamen ein letztes Mal nach Lightside zurück, um alles zu regeln.
Wir verbrachten diesen Morgen – den letzten Morgen – damit, alltägliche Dinge zu tun. Einkaufen und so was. Als wir zusammen Kaffee tranken und die Zeitung lasen, wurde Theresa plötzlich sehr still. Sie entschuldigte sich eilig und verschwand, ohne ihr Frühstück aufzuessen. Das
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