Der Schwarze Phoenix
und einen unterirdischen Geheimgang bauen lassen, der vom Fuße des Wachturms aus eine halbe Meile bis zu einem Stall verlief, in dem stets eine Droschke und ein paar schnelle Pferde bereitstanden. Nicholas würde zurück auf der Hauptstraße sein, bevor der Einbrecher es überhaupt geschafft hätte, in sein Arbeitszimmer einzudringen. In der Zwischenzeit würde sich ein Schlägertrupp auf den Weg zum Panoptikum machen und sich um den Störenfried kümmern.
Nicholas lächelte triumphierend, als er einige seiner einträglichsten Briefe einsammelte und zur Tür eilte. Seine Gedanken kreisten voller Vorfreude um das gewaltsame Ableben des Einbrechers, und so war er völlig überrascht, als eine geflügelte Bestie direkt hinter ihm durch das Fenster brach. De Quincy wirbelte herum und sah die schreckliche Kreatur leichtfüßig auf dem Boden landen. Sie hatte rasiermesserscharfe Zähne und Krallen. Die Lichter im Arbeitszimmer erloschen. Er schrie auf und feuerte einen Schuss ab.
Jonathan konnte sich nicht bewegen, er konnte weder atmen noch den Blick abwenden. Die Gestalt, die vom Wachturm herabstürzte, war der Mann, den sie dabei beobachtet hatten, wie er sich am Seil zum Panoptikum hinübergehangelt hatte. Nun schien er nur noch ein Bündel aus Armen, Beinen und zerrissener schwarzer Kleidung zu sein, das einem knochenbrecherischen Aufprall auf den Steinfliesen entgegenraste. Während Jonathan ihn entsetzt anstarrte, zog der Mann etwas aus seiner Tasche und schleuderte es gegen den Wachturm. Der Gegenstand krallte sich am Mauerwerk fest, innerhalb eines Wimpernschlags wurde der freie Fall des Mannes gestoppt, und er hing an einem Stahlseil, das in weitem Bogen hin und her schwang.
Carnegie stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
»Das war knapp.«
Ein lautes, unmenschliches Kreischen drang aus dem Beobachtungsraum.
»Was um Darksides willen war das?«, keuchte Arthur.
»Was auch immer es war, es war nicht Nicholas de Quincy«, erwiderte Jonathan. »Carnegie?«
Der Wermensch starrte zum Wachturm hinauf und machte ein besorgtes Gesicht. Dann flüsterte er: »Teilt euch auf. Ich werde versuchen, es dort hinauszutreiben.«
»Was hinauszutreiben?«
Ein weiteres Kreischen drang aus dem Beobachtungsraum und eine dicke schwarze Wolke quoll aus dem zerbrochenen Fenster.
»
LAUFT
!«, bellte Carnegie und packte Jonathan an der Schulter. Beim Anblick der sich nähernden dunklen Wolke blieb Jonathan wie angewurzelt stehen. Es war ein Schatten, der eine furchtbare Gefahr in sich barg; die Art von Dunkelheit, die sich, als er ein Kind war, unter Jonathans Bett und in den finsteren Spalten zwischen den Schranktüren versteckt gehalten hatte. Die Wolke kam immer näher und aus ihrem Inneren drang das Geräusch von schlagenden Flügeln. Plötzlich erloschen die Fackeln und das Panoptikum versank in Finsternis.
Irgendwo in der Dunkelheit stieß Carnegie einen Kampfschrei aus, der von einem markerschütternden Kreischen beantwortet wurde. Dann war ein harter Zusammenprall zu hören und der Wermensch heulte vor Schmerz auf. Jonathan versuchte verzweifelt wegzulaufen,aber seine Beine versagten ihren Dienst. Er bemerkte, dass die Kampfgeräusche aufgehört hatten.
»Runter, Junge!«, rief Carnegie. »Es ist hinter dir her!«
Jonathan warf sich instinktiv auf den Boden, und ein zischendes Geräusch durchschnitt die Luft an der Stelle, an der er soeben noch gestanden hatte. Er hatte nicht einmal gehört, wie die Kreatur auf ihn zugeflogen war.
Jonathan drückte sich flach auf den Boden und robbte über die Steinfliesen zur nächstgelegenen Wand. Er konnte weder etwas sehen noch etwas hören. Es zischte ein weiteres Mal, und er spürte einen Windhauch an seinem Gesicht, als das Wesen dicht über ihn hinweg flog. Er tastete blind nach irgendetwas, das er als Waffe benutzen konnte. Seine Finger stießen gegen die kalten Gitterstäbe einer Zellentür. Einer der Stäbe war entfernt worden. Die Lücke war gerade breit genug, dass Jonathan hindurchschlüpfen konnte. Ein weiteres Kreischen erfüllte den Raum, dieses Mal beängstigend nahe. Jonathan zögerte nicht, zwängte sich durch den Spalt und warf sich in die hinterste Ecke der Zelle.
Eine Sekunde später krachte die Kreatur gegen das Gitter. Ein überwältigender Gestank nach verfaultem Fleisch strömte durch die Zelle. Selbst aus dieser Nähe konnte Jonathan die Kreatur im Dunkeln nicht erkennen, aber er hörte das metallische Scharren und Kratzen der Krallen an den
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