Der Schweizversteher
bisschen albern, der Kartoffelschäler ist eher amüsant, aber im
Vergleich zu dem Bleistiftspitzer wirken sie noch relativ normal. Abgesehen
davon, dass damit das Design ruiniert wird (durch die ausladende Wölbung wirkt
das Messer irgendwie schwanger), ist ein Spitzer ganz offensichtlich
überflüssig, wenn ein Werkzeug bereits zwei Klingen hat.
Die Messerfertigung findet unter der sorgfältigen
Anleitung von Daniela und Joe, zwei freundlichen Victorinox-Angestellten,
statt. An der Werkbank führt mich Daniela geduldig in die Kunst ein, Schritt
für Schritt ein Taschenmesser zu bauen. Man fängt mit drei winzigen
Messingstiften und drei noch winzigeren Ringen auf einer Grundplatte an. Daran
befestigt man eine Feder und die ersten drei Werkzeuge (Kapselheber,
Dosenöffner und Stech-Bohrahle) und zieht an dem Hebel eines einarmigen
Banditen, um alles zusammenzuschieben. Nun gilt es, die Mittelplatte zu
positionieren und alles mittels eines FuÃhebels zusammenzupressen. Dann werden
eine zweite Feder und die nächsten drei Werkzeuge befestigt (kleine Klinge,
groÃe Klinge, Korkenzieher). Wieder zieht man an dem Hebel, legt die obere
Platte darauf, bedient den FuÃhebel â und heraus kommt etwas, das einem nackten
Taschenmesser ähnelt.
Ich habe für diese Grundmontage etwa fünf Minuten
gebraucht, aber ein erfahrener Arbeiter schafft das in 45 Sekunden. Zumindest ist
der nächste Schritt weniger feinmechanisch. Man hämmert die vorstehenden
Messingspitzen flach, legt die roten Kunststoffdeckel darauf, quetscht alles in
einem Schraubstock zusammen, ölt die Klingen, steckt die Pinzette und den
Zahnstocher in die vorgesehenen Ãffnungen und befestigt einen Schlüsselring.
Mein Messer ist fertig! Ein Victorinox Spartan , 91
Millimeter lang, 60
Gramm schwer, mit zwölf Standardfunktionen. Als ich es in der Hand halte, fühle
ich mich fast als Schweizer.
Eine Stunde später bekomme ich im Shop der Fabrik
einen Eindruck davon, wie groà das Victorinox-Messersortiment ist. Mein Spartan hat im Lauf der Jahre viele Geschwister bekommen.
Da gibt es zum Beispiel das Sportsman ,
rätselhafterweise mit einer Nagelfeile, für die meisten Sportler nicht wirklich
unentbehrlich. Das Manager ist eins der wenigen
Taschenmesser mit einem Kugelschreiber, während das Angler einen Fischentschupper aufweist, der gleichzeitig als Lineal dient; allerdings
ist es nur sieben Zentimeter lang und von daher wohl zum Messen von Elritzen
gedacht. AuÃerdem gibt es das Camper , das Explorer , das Ranger und eine
ganze Reihe andere mit markanten passenden Namen, wobei ich finde, dass das Escort aus der Reihe fällt. Die Spitzenstellung nimmt
fraglos das SwissChamp ein, es hat 22
Werkzeuge mit 33
Funktionen, darunter fünf verschiedene Schraubenzieher. Wer könnte mehr
verlangen?
Tatsächlich gibt es bei Victorinox hundert
verschiedene Modelle des Schweizer Armeemessers. Pro Arbeitstag werden 28Â 000
produziert (also sechs Millionen pro Jahr), was ziemlich viel klingt, bis man
erfährt, dass die Firma doppelt so viele Haushalts- und Berufsmesser herstellt.
Am befremdlichsten in der Victorinox-Palette finde ich
das für Kinder gedachte Taschenmesser. Während Kinder in anderen Ländern dem
ersten Fahrrad, dem ersten Sony oder dem ersten Pony entgegenfiebern, bekommen
sie in der Schweiz My First Victorinox . Es ist rot
oder blau und hat zwei Werkzeuge: eine groÃe Klinge und ein Allzweckutensil,
das Flaschen und Dosen öffnet, Draht abisoliert und Schrauben dreht. Zugegeben,
die Klinge ist abgerundet, trotzdem ist es ein irritierender Anblick, wenn zwei
unschuldige Kinder im Fernsehen stolz ihre ersten potenziell tödlichen Waffen
präsentieren. Andererseits sind Schweizer Kinder natürlich viel zu vernünftig,
um mit ihren Taschenmessern irgendwelchen Unfug anzustellen.
Markus versteht gar nicht, wo mein Problem liegt, aber
wahrscheinlich ist er mit einem Sackmesser (wie
Deutschschweizer ein Taschenmesser nennen) anstelle einer Rassel aufgewachsen.
Er ist Offizier in der Schweizer Armee und hat eine Uniform, die das beweist,
aber als er das neue Soldatenmesser erblickte, konnte er nicht widerstehen und
hat es gekauft. Es war Liebe auf den ersten Schnitt. Mit nichts kann man einen
Schweizer mehr begeistern als mit einem neuen Taschenmesser. Die meisten haben
bereits eins, das sie immer bei sich tragen, doch sobald Sie ihnen ein neues zeigen
und sie mit den
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