Der Schwur der Ritter
Verehrung zu betrachten wie zuvor. Ein herber Verlust, doch der geringere Verlust, der Verlust von Acre, kann nicht daran schuld sein. Der Verlust von Acre war zwar tragisch, aber ehrenhaft. Zahllose Ritter und Sergeanten des Tempels wurden beim Fall der Stadt ausgelöscht, und es gab keine Überlebenden. Sie haben in Outremer ihre Pflicht an der Seite der anderen Verteidiger des Glaubens getan, sind bei der Erfüllung ihrer Aufgabe einer Übermacht erlegen und als Märtyrer gestorben. Es wäre also ungerecht, diesen Toten den Fall des Tempels anzulasten. Der Tempel Salomons hat es sich selbst zuzuschreiben, dass er im Laufe der Jahre in Ungnade gefallen ist, beginnend mit dem Tag, an dem der Orden seine Ansprüche gesenkt hat und das Mönchsdasein nicht länger unabdingbar für die Brüder war. Das war der Anfang des Verfalls – jener Tag, an dem der Tempel den ersten Laien, den ersten Kaufmann, in seine Reihen aufgenommen und ihm das Privileg gewährt hat, sich Templer zu nennen. Seitdem machen diese Mitbrüder den Tempel aus, den das Volk wahrnimmt, ein Tempel, der sich in Arroganz und Unrecht hüllt und sich den Rest der Welt zum Feind macht.«
Er hielt inne und sah Sir Charles an, doch es kam kein Widerspruch. »Vergessen wir einmal unsere Loyalitäten, Sir Charles, und geben wir zu, dass es schon immer grobe Klötze in den Reihen der Templer gegeben hat. Doch dies waren Ritter, Soldaten, und selbst ihre schlimmsten Vergehen sind nicht nach außen gedrungen. Aber das ist es nicht, was ich verurteile. Der Orden des Salomontempels hat heute keine Ähnlichkeit mehr mit der Bruderschaft, die er einmal war, abgesehen von uns Soldaten. Er ist eine Händlergilde geworden, in der sich Aufschneider, Betrüger, Prahler und anderes Gesindel tummeln, die allesamt keine Steuern zahlen, sich Privilegien herausnehmen und nach Herzenslust ihre Schwächen ausleben. Und doch verbergen sich inmitten dieses Gebildes unsere Sionsbrüder, die lebenden Sehnen, die die Muskeln des Ganzen koordinieren und den Körper in Funktion halten. Entfernt man diese Brüder und ihre Ziele, wird der Tempel in sich zusammenstürzen und zu Recht der Geschichte anheimfallen, während die Bruderschaft des Ordens von Sion überdauern wird.«
St. Valéry blieb stehen und zog die Stirn in Falten, doch dann nickte er.
»Aye, damit habt Ihr recht. Auch wenn es mir widerstrebt, dies zuzugeben, kann ich Euch nicht widersprechen. Der Templerorden ist korrupt, und auch wenn er fällt oder irgendwie verändert wird, wird unsere Bruderschaft überleben. Doch um welchen Preis, Sir William? Wir werden wieder im Verborgenen leben und wirken müssen, zur Geheimnistuerei gezwungen sein, und das kann den Zielen unseres Ordens nur schaden. Das allein sollte uns zu denken geben. Die Tempelbruderschaft, das Konstrukt des Tempels, verleiht uns einen Deckmantel, der uns unsichtbar macht. Innerhalb dieser Hülle nimmt uns niemand wahr. Ich glaube, dass wir alles tun müssen, was in unserer Macht steht, um uns diesen Deckmantel zu erhalten. Zu diesem Zweck müssen wir dem Fußvolk der Templer etwas geben, woran es glauben kann, etwas aus ihrer eigenen Überlieferung, das ihnen im Angesicht der gegenwärtigen Sorgen Standhaftigkeit verleiht.«
Ein kalter Windstoß peitschte über den Strand, und St. Valéry blickte zu der Wolkenbank auf, die sich schon seit ihrer Landung zusammenbraute und nun den ganzen Himmel verdunkelte. »Ein Gewittersturm«, sagte er und zog den Umhang fester um sich. »Hoffen wir, dass er schnell vorüberzieht. Wenn sich das Wetter verschlechtert, könnte es passieren, dass wir hier festsitzen, weil wir es nicht aufs Meer schaffen.« Er sah Sinclair an, der sich zum Schutz vor dem Wind ebenfalls fester in seine Kleidung hüllte.
»Der Tempel hat aber keine eigene Überlieferung, Admiral«, sagte der schottische Ritter, ohne seinerseits auf das Wetter einzugehen. »Dazu ist er noch viel zu jung.«
»Das weiß ich.« Wieder richtete St. Valéry den Blick auf die Wolken. »Ich glaube nicht, dass es schlimm wird, doch wenn es nötig ist, können wir die Ruder einsetzen und die Frachtschiffe auf das offene Meer hinausschleppen. Wenn es allerdings zu gefährlich wird, kann es sein, dass wir das Unwetter hier abwarten müssen.«
»Das gefällt mir nicht. Zu dicht an La Rochelle«, erwiderte Sinclair. »Es sind ja kaum dreißig Meilen auf dem Landweg. De Nogarets Männer könnten uns einholen, während wir hilflos hier festsitzen.«
»Wenn sie wüssten,
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