Der Schwur des Piraten
gelassen. Flink wie ein Wiesel jagte er dem Wildschwein durch das dichte Blattwerk hinterher. Das Tier rannte um sein Leben und zeigte keinerlei Zeichen von Erschöpfung. Spinn hingegen ging langsam die Luft aus. Es war drückend heiß und er war so verschwitzt, dass das Hemd an seiner Haut klebte.
Spinn stolperte und rollte die steile Böschung hinunter. Er kam erst zum Halt, als er unten den Strand erreichte. Wie hatte das nur passieren können? Das Borstenvieh musste ihn mit einem abrupten Haken ausgetrickst haben, während er, überzeugt, das Tier noch einholen zu können, weiter geradeaus gelaufen war. Auf dieser rasanten Verfolgungsjagd hatte Spinn die gesamte Insel durchquert und befand sich nun auf der anderen Seite des Atolls.
Seine Enttäuschung über den entwischten Wildschweinbraten machte jedoch schnell einem großen Staunen Platz. Zwischen schroffen Felsen, die vor dem Strand aus dem Meer ragten, lag das Wrack einer Galeone. Mit ihrem offenen Rumpf und den kahlen Masten schien sie nur mehr das Skelett eines einst prächtigen Schiffes.
Das musste sich Spinn aus der Nähe anschauen. Wie lange diese Galeone dort wohl schon lag? Sie musste in ein schweres Unwetter geraten sein. Vielleicht war die Mannschaft ertrunken oder sie hatte das Schiff rechtzeitig über die Rettungsboote verlassen und sich in Sicherheit bringen können. Doch dann entdeckte Spinn, dass einige der Boote noch an ihrem Platz waren. Die Überreste weiterer Rettungsboote waren an den Strand geschwemmt und mit der Zeit vom Sand bedeckt worden.
Das Segelschiff lag auf der Backbordseite und der Bug steckte zwischen den Klippen fest. Spinn kletterte die schroffen, glitschigen Felsen hinauf, um auf das Schiff zu kommen. Mittlerweile hatten auch Keepfit und die anderen das Wrack erreicht und betrachteten es mit staunender Neugier. Dann folgten sie Spinn, der über die Kielräume bereits ins Innere des Wracks vorgedrungen war. Das Wasser reichte ihnen bis über die Knie und sie mussten sich durch ein dichtes Gewirr von Algen kämpfen. Überall schwammen Fässer und viele andere Gegenstände.
Spinn schaute sich forschend um, doch er konnte nichts Brauchbares erkennen. Vielleicht gab es in den Kajüten auf dem Achterdeck noch etwas zu stibitzen, aber es würde nicht leicht sein, dorthin zu gelangen. Da das Schiff auf der Seite lag, konnte man nicht über das Deck laufen. Also kletterte Spinn kurzerhand auf die Sprossen der Reling, um zur Kajüte des Captains zu gelangen. Die anderen Piraten, die nicht so wendig waren wie er, hatten ihre liebe Not, ihm zu folgen.
»Verdammt noch mal, Spinn! Wir können von Glück sagen, wenn das nicht alles auf uns runterkracht.«
Ohne zu antworten, griff Spinn nach einem langen Tau, das vor ihm baumelte, und ließ sich daran zu den Kajüten auf dem Achterdeck hinüberschwingen. Die anderen taten es ihm murrend nach.
Als die Piraten die Kajüte des Captains betraten, fuhren sie vor Schreck zusammen. Dort lagen vier Skelette in einer höchst sonderbaren Haltung. Sie hatten die Arme erhoben, so als hätten sie sich vor etwas schützen wollen und genau in diesem schrecklichen Augenblick den Tod gefunden.
Hinter einem umgestürzten Tisch entdeckte Spinn ein dünnes Büchlein mit vergilbten Seiten. Es war das Logbuch. Er schlug es auf und blätterte darin. Die Seiten waren eng mit schwarzer Tinte beschrieben. Auf den ersten Seiten befanden sich nur die üblichen Eintragungen über die Längen- und Breitengrade und das Wetter.
Dann wurde die Schrift hastig, manchmal sogar unleserlich, und auf einigen Seiten waren Tintenkleckse. Spinn begann laut vorzulesen.
Das Logbuch
16 . Mai Alles ruhig heute. Bewölkter Himmel gen achtern.
18 . Mai Rückenwind aus Nordost. Die Wolken türmen sich hinter uns auf. Wenn es so weitergeht, müssen wir die Segel einholen.
19 . Mai, Nacht Wir sind in ein Unwetter geraten. Ich, Captain Smollett, schreibe unter den beschwerlichsten Bedingungen. Das Schiff ist gegen einen Felsen geprallt und an der Steuerbordseite leckgeschlagen, sodass Wasser eindringt.
Heute Nacht haben wir sieben unserer besten Männer verloren. Das Unwetter hat sich ein wenig beruhigt. Es ist unmöglich, die Route zu berechnen. Wir versuchen südwärts zu fahren. Möge Gott uns beistehen!
20 . Mai Das Schiff sinkt. Wir sind verloren. Zwei Pumpen sind kaputt. Das Wetter hat sich wieder verschlechtert. Der Sturm ist noch stärker als zuvor. Es bleibt keine Hoffnung mehr. Wir können nur noch beten. Bevor ich
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