Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Seite. Sogar eine Belle-Corthen-Kinderkollektion wurde in Kooperation mit einem großen Versandhaus entwickelt und erfolgreich verkauft. Die neue Truppe arbeitete kaum noch mit Block und Zeichenstift, wie Isabelle es von Puppe Mandel gelernt und selbst jahrelang praktiziert hatte, sondern saß vor Bildschirmen und entwarf Mode per Computer. Sosehr Isabelle es faszinierte, daß man auf einen Knopfdruck den Schnitt eines Kleides verändern, Farben bestimmen und Details herausarbeiten konnte, so sehr schreckte es sie auch. Es kam ihr vor, als wäre nun, Anfang der Neunziger, eine neue Zeitrechnung angebrochen – das Ende des Jahrtausends, perfekt, schnell, seelenlos. In diesem Punkt stimmte, was Peter Ansaldi sagte: Sie gab nur noch ihren guten Namen. Sie hielt in der Öffentlichkeit ihr Gesicht hin. Sie traf Entscheidungen. Das war alles. Die Dinge, die sie an der Arbeit einer Modeschöpferin so geliebt hatte, waren dahin. Das Künstlerische, der Umgang mit dem Schönen, das Anfassen, das Sehen, Fühlen, Gestalten, das Schwelgen und Schwärmen, war auf der Strecke geblieben.
Trotzdem arbeitete Isabelle genausoviel wie immer. Sie hatte so gut wie kein Privatleben. Ein paar Monate lang hatte sie ein Verhältnis mit einem Filmschauspieler gehabt, einem älteren, gutaussehenden Brasilianer, der in Italien eine große Karriere gemacht hatte und in Rom lebte. Wann immer er konnte, war er freitags mit der Spätmaschine aus Frankfurt am Hamburger Flughafen gelandet, heimlich, denn die Presse sollte von der Geschichte nichts erfahren. Nur Patrizia wußte davon. Doch dann waren seine Besuche seltener geworden. Das Erstaunliche war, daß sich Isabelle nicht einmal daran erinnern konnte, wann die Sache zu Ende gegangen war. So plötzlich, wie er in ihrem Leben aufgetaucht war – sie hatten sich auf einem Fest anläßlich einer Herrenmodemesse in Florenz kennengelernt –, so plötzlich war er auch wieder verschwunden. Isabelle konnte gut auf ihn verzichten. Sie hatte Spaß mit ihm gehabt, sein altmodisches, stilvolles und charmantes Kavaliersgehabe schmeichelte ihrer Eitelkeit, die Heimlichkeit des Verhältnisses empfand sie als prickelnd. Doch bald hatte sie genug d von, und als er fortblieb, für immer, empfand sie weder Verlust noch Leere. Sie lebte nur für ihren Beruf.
Dann aber brachen Probleme über Sie herein, die ihr bewußtmachten, daß sie zu einem Workaholic geworden war, er sich niemals fragt, ob es ihm eigentlich noch Freude macht, was er tut. Es gab, das wurde ihr schlagartig klar, keine Kür mehr in ihrem Leben, sondern nur noch Pflicht. Wie bei einem Rennen jagte sie einem selbstgesteckten Ziel entgegen, sie war Pferd und Jockey zugleich, und hatte sie es erreicht, mit aller Kraft und ohne Herz und Spaß, hetzte sie zum nächsten Ziel, zum übernächsten und war schon wieder auf dem Weg zu darauffolgenden. Sie jettete um die halbe Welt, sie war heute in London, um einen Modepreis überreicht zu bekommen, morgen in Hongkong, um mit Lieferanten zu verhandeln, übermorgen in New York, um Kunden zu besuchen und sich nebenher eine Wohnung zu kaufen. Einfach so, wie andere Frauen eine Handtasche zwischen Tür und Angel, wie es so schön heißt, ohne wirklichen Anlaß und Sinn. Es gab ihr einen Kick, sie hatte sich in einen Kaufrausch geworfen, einen Moment lang die längst vergessene Lust empfunden, sich etwas Gutes zu tun. Doch schon im Flugzeug zurück nach Deutschland wußte sie nicht mehr, warum sie es getan hatte, und beschloß, sie bei nächster Gelegenheit wieder zu verkaufen.
«Dreihundert Quadratmeter mit Blick auf den Central Park, im altehrwürdigen Hampshire House», erzählte sie Patrizia, als sie wieder im Büro war. «Und denk nicht, daß es einfach war, das so zu kaufen ... ich mußte meine Finanzen offenlegen und mich einem Board stellen ... Vertreter der Eigentümergemeinschaft, lauter alte Männer, die von mir wissen wollten, ob ich in das Haus mit seinen noblen Bewohnern überhaupt reinpasse. Seriös bin. Ich muß verrückt sein!»
«Ja, bist du!» hatte Patrizia lapidar geantwortet, ihr einen Berg voll Arbeit auf den Schreibtisch geknallt und sie ermahnt, sich wieder dem Alltagsgeschäft zu widmen.
Denn es gab ernste Probleme: Die letzten Kollektionen hatten sich miserabel verkauft, sie mußten einen Umsatzrückgang verzeichnen, der bedrohlich war, und Peter Ansaldi hatte fast täglich vergebens – versucht, sie zu erreichen. Er hatte bereits mit ihrer Sekretärin einen Termin für den
Weitere Kostenlose Bücher