Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
genießen. Einen solchen Augenblick erlebte sie jetzt, doch noch während sie versuchte, sich an dem Gefühl des Windes auf ihren Wangen festzuklammern, wurde sie von Wolfs Worten eingeholt, keinem von ihnen bleibe eine andere Wahl als die Heirat. Worte, die sich wie eine schwere Last auf sie legten.
Um ihre Fußgelenke lagen längst keine Fesseln mehr, wie es noch in der Zelle der Fall gewesen war, doch in Momenten wie diesem fiel es ihr schwer, diese Tatsache zu akzeptieren.
Izzy stellte sich breitbeinig an die Reling und hielt sich vor Augen, dass sie keine Fesseln mehr trug. Diese Zeit lag hinter ihr, sie war frei, und das würde so bleiben, ganz gleich, was sie dafür tun musste. Nichts und niemand würden je wieder ihre Bewegungsfreiheit einschränken. Nachdem sie nun die Insel verlassen hatte und die Gefahr gebannt war, jemand könnte sie zurück in diese Gefängniszelle bringen, würde sie selbst darüber entscheiden, welchen Weg ihr Leben einschlagen sollte.
Der Gedanke machte ihr Mut, und sie beugte sich etwas weiter über die Reling, damit der Wind ihr intensiver ins Gesicht wehen konnte.
»Könnt Ihr schwimmen?«
Sie schlug die Augen auf und entdeckte neben sich den Mann, der sie mit einer Mischung aus Wut und Angst betrachtete.
»Nein«, antwortete sie, wobei ihr nicht entging, dass er seine Gefühle rasch wieder vor ihr verbarg.
»Dann muss ich also nicht befürchten, Ihr könntet ins Wasser springen.«
Izzy wunderte sich -; nicht über seine Wortwahl, sondern über die Erleichterung, die aus seinem Tonfall herauszuhören war. Fast hätte sie ihm glauben wollen, dass es ihn interessierte, was aus ihr wurde. Aber nur fast. »Dafür ist das Leben zu wertvoll.«
»Gut.« Er trat einen Schritt nach hinten, um auf Abstand zu ihr zu gehen. »Denn außer dem Tod kann nichts unser gemeinsames Schicksal als Ehemann und Ehefrau verhindern.«
Ehemann und Ehefrau. Diesen Weg wollte sie nun wirklich nicht gehen.
»Und wann erreichen wir Euer Zuhause?«, fragte sie und hoffte, es hörte sich möglichst beiläufig an.
»Morgen Abend.«
»Und die Hochzeit?«
»Die wird noch an diesem Abend stattfinden.« Er hielt inne, und einmal mehr verfinsterte sich seine Miene. Hatte sie sich diesen flüchtigen Eindruck von Unsicherheit nur eingebildet? »Seid Ihr von Eurem Bräutigam enttäuscht?«
»Ich hatte auf einen Mann gehofft, der …»Sie verstummte, als ihre Worte seinen Blick zu ihr zurückkehren ließen. Was war nur los mit ihr? Was war nur in sie gefahren, dass sie beinahe etwas so Persönliches ausgeplaudert hätte? Sie hatte sich nie so verletzlich gemacht. Dabei wusste sie doch nur zu gut, dass andere nur darauf warteten, ihre Träume zu erfahren, um diese dann gegen sie zu verwenden.
»Der Euch liebt? Wolltet Ihr das sagen?« In seinen kalten, unerbittlichen Augen funkelte Belustigung. »Wenn Ihr das meint, lasst Euch gesagt sein, dass Liebe für eine Ehe bedeutungslos ist.«
Enttäuschung versetzte ihr einen Stich ins Herz, doch sie zwang sich, den Schmerz zu ignorieren. Natürlich hatte der Mann Recht. Dieser romantische Gedanke war nichts weiter als ein Traum, der in den Märchen aus ihrer Kindheit seinen Ursprung hatte. In keiner Ehe, die sie je gesehen hatte, war Liebe im Spiel gewesen.
Sie wandte sich ab, um ihn zu ignorieren, und schaute hinaus auf die See. Es dauerte nicht lange, da hörte sie seine Schritte, die sich allmählich entfernten und dann unter Deck verhallten. Er war fort, doch das Problem existierte unverändert weiter. Er wollte sie so wenig heiraten, wie sie an einer Ehe mit ihm interessiert war. Falls er nichts unternehmen würde, um ihnen zu ersparen, was sie ohnehin nicht haben wollten, dann musste sie eben zur Tat schreiten. Da sie erst morgen seine Burg erreichen würden, blieben ihr noch dieser Abend und die Nacht, um vor einer Ehe die Flucht zu ergreifen, die schlimmer wäre als jedes Dasein in einem Gefängnis.
In jenem Gefängnis …
Ein Gefühl von drohendem Unheil überkam sie. Enge, Dunkelheit, Tod. Ihr Atem stockte, und eine allzu vertraute Panik stürmte auf sie ein, bis sie auf einmal neben sich ein Scharren vernahm. Mistress Henny. Izzy setzte sich gegen die überwältigenden Gefühle zur Wehr und ging zu dem Fass, in dem ihre Freundin eingesperrt war. Sie nahm den Deckel ab und holte das Huhn heraus. Als sie es in den Armen hielt und sanft an sich drückte, gluckste das Tier leise.
Auf Izzy hatten diese Laute und das Gefühl der weichen Federn eine
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